Was der Mohn macht, macht Menschen müde

Symbolbild Schlafmohn.
Symbolbild Schlafmohn.(c) Woltron
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Opiate wirken, weil sie an Rezeptoren andocken, die eigentlich für ganz andere Stoffe konzipiert sind.

„Unter all den Mitteln, die den Menschen zur Linderung seiner Leiden zu geben dem Allmächtigen beliebt hat, ist keines so umfassend anwendbar und wirksam wie Opium“, schrieb der Arzt Thomas Sydenham, der im 17. Jahrhundert als „englischer Hippokrates“ galt. Dass stimmt bis heute. Und es hat einen tief in unserer Natur bzw. der Evolution liegenden Grund. Dass Opium so gut wirkt, dafür sind sogenannte Opioidrezeptoren im Nervensystem, vor allem im Hirn, verantwortlich.

Über solche Rezeptoren verfügen so gut wie alle höheren Tiere. Wirbeltiere sowieso, aber auch Wirbellose. Dass sie in Krebsen vorkommen, dient Tierschützern als Argument dafür, dass etwa Hummer Schmerzen erleben können. Denn das ist ihr Sinn: Schmerzlinderung. Aber auch bei Hunger spielen sie eine Rolle. Allgemein ausgedrückt: Sie sollen Reaktionen auf eine Belastungssituation dämpfen.

Opioide sind Peptide. Die Stoffe, die natürlicherweise an den Opioidrezeptoren andocken und im Körper selbst entstehen, heißen endogene Opioide oder Endorphine (von „endogene Morphine“). Es sind – im Gegensatz zu den Opiaten – meist Peptide, also Ketten von Aminosäuren (wie Proteine, nur sind diese viel länger). Man kennt Gene, die die Bauanleitung für diese Peptide enthalten, aber wie die Endorphin-Produktion bei der Antwort des Körpers auf Stress reguliert wird, weiß man nicht genau. Opiate docken auch an die Opioidrezeptoren an. Sie sind aber chemisch anders, nämlich Alkaloide. Darunter versteht man basische, stickstoffhaltige organische Verbindungen, die von Lebewesen produziert werden und auf Tiere wirken. Das klingt unbeholfen und ist es auch: Man kennt 10.000 solche Verbindungen, oft sehen ihre Strukturformeln selbst für Chemikeraugen abenteuerlich aus.

Rauschmittel. Und oft sind sie psychoaktiv. Auch Nikotin, Koffein, Meskalin, Strychnin und LSD fallen in diese Stoffklasse (der Marihuana-Wirkstoff THC aber nicht, da er keinen Stickstoff enthält). Warum erzeugen Pflanzen solche Stoffe? Warum „designen“ sie Substanzen, die an Rezeptoren andocken, die gar nicht für diese gemacht sind? Um gefräßige Tiere abzuschrecken? Bei Nikotin ist das der Fall. Bei anderen Stoffen ist es aber auch denkbar, dass ihre Synthese – die ja durchaus aufwendig ist – der Pflanze den Vorteil bringt, dass Tiere an der Wirkung Gefallen finden und daher die Pflanze fressen und verbreiten. Im Grunde ist das ja auch bei der Weintraube so: Sie verdankt ihre immense Verbreitung der Tatsache, dass uns der Wein schmeckt.

Morphin und etliche andere Opiate (wie Codein) werden vom Schlafmohn hergestellt. Sie machen Menschen müde, schmerzfrei und/oder euphorisch. Seit mehr als hundert Jahren basteln Chemiker an diesen Substanzen, um die Wirkung zu modifizieren. So hängte man bei der Firma Bayer zwei Essigsäuremoleküle an Morphin und gab dem entstandenen Diacetylmorphin 1896 einen heldischen Namen: Heroin. Es wurde als Mittel gegen Schmerz und Husten vermarktet. Doch die Hoffnung, dass es nicht süchtig mache, wurde bitter enttäuscht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2018)

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