Oxycontin – die „harmlose Wunderpille“

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Symbolbild. (c) REUTERS (GEORGE FREY)
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Tausende US-Bürger sind von Opioiden abhängig. Daran trägt die Pharmaindustrie, allen voran Purdue Pharma, erhebliche Mitschuld.

Jeder weiß es, der eine Folge von „Dr. House“ gesehen hat. Der unleidliche, grenzgeniale Held der gleichnamigen US-Serie ist süchtig, und zwar nach Opioiden (Vicodin). Gregory House ist nicht allein. Opioid-Abhängigkeit ist in den USA zu einer Volksseuche geworden. Nicht nur sozial schwache Menschen sind davon betroffen, sondern genauso sehr die Mittelschicht.

Täglich sterben in den USA mehr als 150 Menschen am Missbrauch von rezeptpflichtigen Schmerzmitteln und Heroin. 2016 erreichte die Zahl der Drogentoten mit 59.000 einen neuen Höchststand. Die wirtschaftlichen Folgen für das Land betragen laut dem Council of Economic Advisers an die 500 Milliarden Dollar.

All das wissen wir nicht erst, seitdem US-Präsident Donald Trump im Herbst 2017 wegen der „größten Opioidkrise der amerikanischen Geschichte“ den „nationalen Gesundheitsnotstand“ ausgerufen hat. Trump will das Problem auf seine Art lösen, mit aller Härte: Drogendealern soll künftig die Todesstrafe drohen, sagte er mehrfach.

Ob das Drohen mit der Giftspritze der richtige Ansatz ist? Der gigantische Konsum von Opioiden wie Oxycodon, Fetanyl, Vicodin ist sicher nicht mit ein paar überaktiven Drogendealern zu erklären, sondern hat viel Gründe. Ein krankes Gesundheitssystem etwa. Krankenversicherungen, die bei Rückenschmerzen zwar Opioide zahlen, aber keine Physiotherapien. Verantwortungslose Ärzte, die Patienten mit Beschwerden wie Kopfweh oder Verspannungen mit Opioiden abfertigen.

Und Pharmakonzerne, die schon vor drei Jahrzehnten erkannt haben, dass man mit Opioiden und dem nötigen Marketing so richtig viel Geld machen kann.

Gezielt verharmlost. Allen voran ist hier der US-Pharmakonzern Purdue zu nennen. 1995 brachte er das Produkt Oxycontin auf den Markt. Seitdem hat er mit dem hoch potenten Schmerzmittel nicht nur mehr als 35 Milliarden Dollar Umsatz eingefahren, sondern auch unzählige Menschen zu Süchtigen gemacht. Viele sehen in Purdue den Hauptschuldigen für die Opioidkrise der USA. Im Mai 2007 bekannte sich der Konzern schuldig, „nicht ausreichend auf die Suchtgefahren von Oxycontin hingewiesen zu haben“, und akzeptierte eine Strafzahlung von 634,5 Millionen Dollar.

„Nicht ausreichend hingewiesen“ – das klingt allzu harmlos, sieht man sich die facettenreiche Werbestrategie an, die Purdue über Jahre konsequent verfolgt hat. Zum einen wurde die süchtig machende Wirkung des Opioids gezielt verharmlost, zum anderen das Schmerzmittel auf skrupellose Weise beworben. Dazu scheute Perdue keinen Aufwand. Die Droge sei auch „bei moderaten Schmerzen das Mittel der Wahl“, hieß es in den groß angelegten Werbekampagnen in Fachmagazinen.

Und für das notwendige Kleingeld fand der US-Pharmakonzern auch einige Ärzte, die in Talkshows und anderen Fernsehsendungen bereitwillig erklärten, dass selbst bei Langzeiteinnahmen von Oxycodon „weniger als ein Prozent“ der Konsumenten abhängig würden. In eigens produzierten Werbefilmen mit dem Titel „I got my life back“ erklärten fröhliche Menschen, welche Wunder die Schmerzpille in ihrem Leben vollbracht hat.

Nebenbei finanzierte Purdue mehr als 20.000 Ärztefortbildungen. Was dazu beitrug, das unzählige Mediziner das Produkt großzügig verschrieben, auch wenn es medizinisch keinen Grund dazu gab. Pharmareferenten holte der US-Konzern mit hohen Boni an Bord. Bei entsprechenden Verkaufszahlen konnten sie bis zu 240.000 Dollar pro Jahr zusätzlich kassieren. All das kann man einem Untersuchungsbericht des US-Kongresses entnehmen. Auch Tausende Gutschriften verteilte Purdue unter den US-Bürgern. Wer einen solchen Gutschein ergatterte, durfte den potenten Schmerzkiller eine Woche lang gratis konsumieren. So empörend diese Methoden waren, den gewünschten Erfolg brachten sie Purdue – und vielen Menschen den Tod.


Alles getan?Erst im Jahr 2010 änderte Purdue die Zusammensetzung von Oxycontin, sodass für Süchtige die Einnahme nicht mehr so attraktiv wurde. Das Unternehmen vertritt heute die Ansicht, es habe bereits alles getan, um Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen.

Das sehen viele anders. In 24 US-Bundesstaaten laufen aktuell immer noch Prozesse wegen irreführenden Marketings gegen den Konzern. Der Vorwurf: Ärzte seien auch nach 2007 dazu gebracht worden, Oxycontin in viel zu hohen Dosen zu verschreiben. Der Pharmakonzern weist die Anschuldigungen von sich.

Der Verkauf von Oxycontin ist jedoch rückläufig: 2017 generierte Perdue laut dem US-Datenanalysten Symphony Health Solution 1,74 Mrd. Dollar mit dem Schmerzmittel, 2012 waren es noch 2,6 Mrd. Dollar gewesen.

In Zahlen

150

Menschen sterben in den USA pro Tag an Drogen.

500

Milliarden Dollar
hat die US-Ökonomie bisher die Opioidkrise gekostet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2018)

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Vor gut 20 Jahren hatte man nach einer großen Spende einige Säle nach der Milliardärsfamilie Sackler benannt. Der Sackler-Pharmakonzern wird für die Opioid-Krise in Amerika verantwortlich gemacht.

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