Der lange Schatten über Franziskus

Kaum zu zählende Fälle von Gewalt und Missbrauch durch katholische Geistliche und Nonnen dominieren den aktuellen Irland-Besuch.

Es hört nie auf. Was für die einen Genugtuung ist, wird für andere unerträglich: Immer wieder wabert aus unappetitlichem Morast der nächste Fall von (sexueller) Gewalt gegen Kinder und Jugendliche auf, bei dem Priester oder Nonnen als Täter beschuldigt, angeklagt oder verurteilt sind. Und bei dem Bischöfe durch Wegschauen, Nichthandeln oder Vertuschen weitere Taten ermöglicht oder erleichtert haben.

Auch der mit 36 Stunden nicht gerade längste, der 24. Auslandsbesuch von Papst Franziskus in Irland an diesem Wochenende wird von dem Megathema überschattet. Dort findet das neunte – eine Steilvorlage für Zyniker und Kirchengegner – Weltfamilientreffen statt. Überschattet deshalb, weil es immerhin die früher als erzkatholisch titulierte Insel war, auf der durch den „Ryan-“ und wenig später den „Murphy-Bericht“ die unselige Rolle der Kirche – und, in Irland wichtig, des Staates (dessen Behörden es nicht gewagt haben, gegen Kleriker vorzugehen) – offenkundig wurde.

Was danach folgte, war eine Welle von Missbrauchsenthüllungen. Sie ist bis heute, siehe Pennsylvania oder Australien, nicht verebbt. Die Welle wird auch Länder wie Italien oder Polen erfassen, und Kontinente wie Afrika und Asien. Wie deutlich muss Papst Franziskus noch werden, der vor wenigen Tagen ein Bußschreiben veröffentlicht hat?

Und Österreich? Da wurden bald nach Irland Fälle von Gewalt und sexuellem Missbrauch publik. Und, man kann es nicht oft genug sagen, wie es auch der Jesuit Hans Zollner tut, der Papst Franziskus beim Thema Kindesmissbrauch berät: Unter Kardinal Christoph Schönborn wurde eine Vorgangsweise etabliert, die international beispielhaft sein sollte, es aber nie geworden ist. Einschub, der das Verdienst des Wiener Erzbischofs keineswegs schmälert: Österreich wurde früher durch Vorwürfe gegen den nun verstorbenen Kardinal Hans Hermann Groër hinsichtlich dieses Themas gründlich sensibilisiert.

Einzigartig war zunächst der Bußgottesdienst im Wiener Stephansdom unter dem Titel „Ich bin wütend, Gott!“. Kardinal Schönborn formulierte da für die Kirche ein Schuldeinbekenntnis. Die von ihm eingerichtete Opferschutzkommission hat seit 2010 bis heute 1812 Opfern in Höhe von 25,6 Millionen Euro Finanzhilfe gegeben oder Therapien für sie bezahlt. 245 warten noch auf eine Entscheidung.

Nun könnte nicht nur der Besuch von Franziskus in Irland, sondern dessen gesamtes Pontifikat unter den Missbrauchsschatten geraten. Ob noch so deutliche Worte, noch so berührende Treffen mit und Gebete für Opfer wie an diesem Wochenende auch in Irland reichen? Zweifel sind angebracht. Schon werden Rufe nach einer außerordentlichen Bischofssynode laut. Es hat schon zu leichtgewichtigeren Themen solche Treffen gegeben. Nur müssen Konsequenzen sicher sein: Taten nach Beraten.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2018)

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