Italien: Ermittlungen gegen Minister Salvini

A migrant is helped by Red Cross memebrs after disembarking from Italian coast guard vessel ´Diciotti´ at the port of Catania
A migrant is helped by Red Cross memebrs after disembarking from Italian coast guard vessel ´Diciotti´ at the port of Catania(c) REUTERS (ANTONIO PARRINELLO)
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Italiens Innenminister droht wegen der verweigerten Hilfe für Menschen auf der Flucht nun ein Gerichtsverfahren. Ob es allerdings so weit kommt, ist fraglich.

Rom. Der Konflikt um die verweigerte Aufnahme von im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen wird in Italien nun auch von der Justiz ausgetragen. Gegen Innenminister Matteo Salvini hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen.

1. Was wird Innenminister Matteo Salvini vorgeworfen?

Die Staatsanwaltschaft der sizilianischen Stadt Agrigent wirft dem Innenminister „Entführung, Amtsmissbrauch und illegale Festnahme“ vor. Der Chef der rechten Lega hat dem Schiff Diciotti der italienischen Küstenwache zuerst verboten, einen italienischen Hafen anzulaufen. Nach Tagen durfte die Diciotti in Catania anlegen, die 190 im Mittelmeer geretteten Menschen an Bord durften das Schiff aber seit vergangenem Montag nicht verlassen, nur ein paar Dutzend von ihnen wurden wegen ihres schlechten Gesundheitszustands in Krankenhäuser gebracht. Salvini hatte angeordnet, die Migranten müssten an Bord bleiben, bis sich andere europäische Staaten zu ihrer Aufnahme bereit erklärten. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft von Agrigent richten sich auch gegen Salvinis Büroleiter im Ministerium.

2. Wie wahrscheinlich ist ein Verfahren gegen Salvini?

Die Prozedur, bis Salvini tatsächlich vor Gericht stehen könnte, ist sehr langwierig. Die Staatsanwaltschaft von Palermo, die in diesem Fall nun regional zuständig ist, wird selbst keine Ermittlungen aufnehmen. Sie hat 15 Tage Zeit, die Anklage an das Tribunale dei Ministri weiterzuleiten. Das ist ein für Straftaten von Regierungsmitgliedern zuständiges Landesgericht. Dieses Gericht muss innerhalb von 90 Tagen entscheiden, ob es das Verfahren einstellt – gegen diese Entscheidung könnte kein Widerspruch eingelegt werden – oder ob es den Fall an die zuständige Staatsanwaltschaft übergibt. Diese müsste wiederum, wegen der Immunität von Regierungsangehörigen, beim Senat die Genehmigung einholen, gegen Minister Salvini einen Prozess einleiten zu dürfen. Der Senat müsste mit absoluter Mehrheit dafürstimmen.

3. Wie sind die Mehrheitsverhältnisse im Senat?

In der zweiten Parlamentskammer Italiens sitzen derzeit 321 Senatoren, 315 gewählte und sechs Senatoren auf Lebenszeit. Die Fünf-Sterne-Bewegung stellt nach der Wahl am 4. März 112 Senatoren, die Lega 58. Die Regierungsparteien haben somit zusammen 170 Stimmen und damit mehr als die absolute Mehrheit. Allerdings ist der Vorsprung knapp.

4. Was geschieht nun mit den Menschen von der Diciotti?

Die verbliebenen 137 Migranten konnten in der Nacht zum Sonntag nach fast zehn Tagen die Diciotti verlassen. Sie wurden registriert und in Bussen nach Messina gebracht. Rund 100 von ihnen werden von dort in die Obhut der katholischen Kirche in Italien übergeben. Die Regierungen von Irland und Albanien hatten sich am Samstag dazu bereit erklärt, je etwa 20 der Migranten von der Diciotti aufzunehmen.

5. Wie reagieren Salvini und die italienische Regierung auf die Anklage?

Matteo Salvini hat betont trotzig auf die Nachricht reagiert. Bei einer Veranstaltung im norditalienischen Pinzolo bezeichnete er die Anklage gegen ihn als „Ehrenmedaille“. Am Sonntag postete der Innenminister auf seiner Facebook-Seite ein Foto, das ihn im legeren Kapuzenpullover mit einer Angel in der einen und einem Bierkrug in der anderen Hand zeigt. „Ich bin nur noch entschlossener, die Italiener zu verteidigen“, schreibt Salvini dazu. „Einen Toast auf die, die ermitteln, die beleidigen und die uns Schlechtes wollen.“ Da es auf EU-Ebene zu keiner Lösung für die Verteilung der Migranten auf der Diciotti gekommen ist, droht die italienische Regierung nun damit, die Verhandlungen um den neuen EU-Haushaltsentwurf zu blockieren. Man prüfe, ein Veto in den laufenden Verhandlungen einzulegen, erklärte Premierminister Giuseppe Conte in einer offiziellen Erklärung. Derzeit wird in der EU der Haushaltsrahmen für die Jahre von 2021 bis 2027 diskutiert, er muss von allen Mitgliedstaaten gebilligt werden. Italien nehme zur Kenntnis, so Conte, „dass sich der „Geist der Solidarität kaum in konkrete Taten übersetzt“.

6. Warum übernahm die Kirche die Flüchtlinge?

Der Sprecher der Italienischen Bischofskonferenz, Ivan Maffeis, sagte, man habe eine „unerträgliche“ humanitäre Situation beenden müssen. Zugleich erhob er Vorwürfe gegen Innenminister Salvini. Dieser betreibe eine „Politik auf dem Rücken der Armen“. Die Regierung habe die Migranten benutzt, um Europa zu einer Antwort zu zwingen; diese sei teils parteiisch, teils schwach ausgefallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2018)

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