Die Proteste von Rechtsextremen in Chemnitz müssten "uns alle aufrütteln", sagte Ministerpräsident Kretschmer. Es solle verstärkt polizeiliche Maßnahmen geben.
Die Regierung des ostdeutschen Landes Sachsen und die dortige Polizeispitze haben eine entschlossene Reaktion auf die Gewaltexzesse in Chemnitz angekündigt. "Dieses Ereignis, so wie es stattgefunden hat, muss uns alle aufrütteln", sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Dienstag in Dresden.
"Der sächsische Staat ist handlungsfähig, und er handelt. Straftäter auf allen Seiten werden dingfest gemacht", hieß es weiter. Die Ereignisse zeigten, dass man im Kampf gegen Rechtsextremismus nicht nachlassen dürfe.
Verstärkte polizeiliche Maßnahmen geplant
In dem knapp 250.000 Einwohner zählenden Chemnitz hatte es am Sonntag am Rande des Stadtfestes eine tödliche Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Ausländern gegeben. Ein 35 Jahre alter Deutscher starb, zwei weitere Männer wurden schwer verletzt. Gegen einen 23 Jahre alten Syrer und einen 22-jährigen Iraker wurden Haftbefehle wegen Totschlags vollstreckt. Die beiden hätten nach bisherigen Erkenntnissen nicht in Notwehr gehandelt, teilte die Staatsanwaltschaft am Dienstag mit. Weitere Details zum Tathergang nannte sie nicht.
Rechtsextreme instrumentalisierten das Geschehen für ihre Zwecke und zogen am Sonntag und Montag durch die Innenstadt. Bei den Protesten der Rechten und der Gegendemonstranten wurden am Montagabend nach bisherigen Erkenntnissen 18 Demonstranten und zwei Polizisten verletzt.
Zu der Demonstration seien Chaoten und Hooligans aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Thüringen, Berlin und Brandenburg nach Chemnitz gekommen, sagte Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU). "Das ist Anlass, die Sicherheitsvorkehrungen zu verschärfen", kündigte er an. Die polizeilichen Maßnahmen in Chemnitz sollten erheblich ausgeweitet werden.
Zur Demonstration am Montagabend von "Pro Chemnitz" waren nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz Hooligans und Rechtsextremisten aus ganz Deutschland angereist. Es sei überregional vor allem über soziale Netzwerke mobilisiert worden und habe überregionale Anreisebewegungen gegeben, sagte Behördensprecher Martin Döring. Den Kern hätten sächsische Rechtsextremisten gebildet. Die Szene in Chemnitz um die Hooligan-Gruppen "Kaotic" und "NS-Boys" sei virulent und mobilisierungsstark.
6000 Rechtsextreme am Montag, 600 Polizisten
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, in einem Rechtsstaat sei kein Platz für Hetzjagden auf Ausländer. "Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun", sagte die Kanzlerin in Berlin. Staatspräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilte die Übergriffe scharf und sagte, nur der Staat sorge für Recht und Sicherheit. Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte die Ausschreitungen in Chemnitz unerträglich. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bot der sächsischen Polizei Hilfe an.
Landespolizeipräsident Jürgen Georgie ging auf den Vorwurf ein, die Polizei sei auch am Montag mit zu wenig Personal präsent gewesen. Man habe zwar die ursprüngliche Prognose von 1500 Demonstranten auf beiden Seiten im Laufe des Tages verdoppelt, allerdings seien dann weit mehr Teilnehmer gekommen als geschätzt. Laut Georgie standen rund 600 Polizisten 6000 Menschen auf der Rechten-Demo und 1000 Gegendemonstranten gegenüber.
"Vorfälle in Sachsen so häufig, dass wir nicht von Einzelfall sprechen sollten"
Der Zentralrat der Juden zeigte sich bestürzt über die Eskalation in Chemnitz. "Erschreckend viele Menschen" hätten keine Hemmungen, "aufgrund von Gerüchten regelrecht Jagd auf bestimmte Gruppen zu machen und zur Selbstjustiz aufzurufen", sagte Präsident Josef Schuster: "Vorfälle dieser Art gibt es gerade in Sachsen so häufig, dass wir nicht von einem Einzelfall sprechen sollten." Ausreichender Polizeischutz sei wichtig. "Dass die Polizei in Chemnitz auch am Montag offenbar nicht richtig vorbereitet war, kann ich nicht nachvollziehen."
Die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey kündigte an, am Freitag nach Chemnitz zu fahren und dort auch mit Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig zu sprechen: "Gerade in Ostdeutschland ist es wichtig, dass wir die Menschen stärken, die Haltung und Rückgrat beweisen."
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier kritisierte unterdessen das Vorgehen von Politik und Polizei in Sachsen scharf. "Am ersten Tag kann man vielleicht noch überrascht werden - am zweiten Tag nicht mehr", sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
(Ag.)