Wie man seine Freunde loswird

Eine EU, die sich immer gouvernantenhafter in meine Privatsphäre einmengt, kann mir gestohlen bleiben.

Endlich ist es der EU gelungen, eines der brennendsten Probleme der Gegenwart zu lösen, das bisher geradezu sträflichst vernachlässigt worden ist: Seit Kurzem unterbindet eine Rechtsnorm der Union, dass kleine landwirtschaftliche Betriebe ohne großen bürokratischen Aufwand ab und zu ein Schwein schlachten und daraus leckere Würste, köstlichen Speck oder knusprigen Braten bereiten. Mit diesem ruchlosen Treiben auf dem Lande ist es nun endgültig vorbei; es sei denn, der Bauer rüstet seinen Betrieb für ein paar Zillionen Euro zu einem Agroindustriebetrieb mit Hightechstandard um und begeht damit ökonomischen Suizid.

Das wird wohl unter anderem zur Folge haben, dass künftig ein Wochenende beim Bauern in der wunderbaren Südsteiermark nicht nur im abendlichen kalten Lichte der von der EU erzwungenen Energiesparlampe verbracht werden muss, sondern auch der dort bisher vom Buschenschank gereichte köstliche Hausspeck durch nur entfernt speckähnliche, aber dafür EU-konforme Industrielappen ersetzt werden muss. (Seinen Ärger wegduschen kann man dann ja noch immer mit der ebenfalls bald vorgeschriebenen traurig tröpfelnden EU-Energiespardusche.)

Nein, das ist keine Lappalie, über die man schmunzelnd hinwegsehen kann. Natürlich sind diese Ausheckungen für sich genommen keine großen Affären, aber irgendwann wird aus der Quantität dieser eurobürokratischen Behelligungen eine neue, gravierende Qualität. Dass die Repression der hochwertigen Bauernprodukte ohne Zustimmung der österreichischen Regierung in Brüssel nicht möglich gewesen wäre, ändert daran nichts.

Irgendwann reicht es – und irgendwann ist jetzt. Eine EU, die sich gouvernantenhaft in meine Privatsphäre einmischt, kann mir gestohlen bleiben.

Ich schreibe das ungern, weil ich seit ungefähr drei Jahrzehnten zu den eher nicht sehr zahlreichen Befürwortern eines europäischen Bundesstaates in der Façon der Vereinigten Staaten von Amerika gehöre. Langsam frage ich mich, ob das nicht ein Fehler war. (Eine Frage, die sich übrigens noch viel ernsthafter stellt, sollte die Union Griechenland in einer Form subventionieren, die Buchstaben oder Geist des Maastricht-Vertrages widerspricht – aber das ist jetzt eine andere Baustelle.)

Wann immer man als Liebhaber des europäischen Projektes den Versuch unternimmt, den fundamentalen Gegnern der EU zu erklären, dass die Union doch überhaupt nicht so ein übles Bürokratenmonster ist, versucht die EU sofort zu beweisen, dass die gegen sie gerichteten Vorurteile absolut begründet sind. Irgendwann muss so eine Liebe zwangsläufig erkalten.

Wenn es der Union gelingt, sogar ihre hartnäckigsten Befürworter vom Hof zu jagen, kann man sich die künftige Brüssel-Begeisterung in der ohnehin weit skeptischeren Gesamtpopulation ausmalen. Es wird langsam Zeit, das Projekt Europa vor der real existierenden Europäischen Union und ihren Institutionen zu retten, leider.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2010)

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