Lira-Krise trifft immer mehr auch andere Schwellenländer

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Die Währungskrise in der Türkei schlägt an den Börsen hohe Wellen und wird auch für andere Schwellenländer immer gefährlicher.

Der Lira-Verfall von rund 40 Prozent in diesem Jahr bringt auch Währungen anderer aufstrebender Volkswirtschaften in die Bredouille. Argentinien hat den Internationalen Währungsfonds (IWF) gerade um eine vorzeitige Auszahlung von Milliardenhilfen gebeten, in Indien fällt die Rupie von Rekordtief zu Rekordtief und an vielen Aktienmärkten könnte es nach dem Ausverkauf der vergangenen Wochen Experten zufolge weiter abwärtsgehen.

Zwar hängen viele Probleme der Türkei laut Analysten mit der Politik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zusammen und sind somit hausgemacht. Doch gerade bei den Themen Staatsverschuldung, politische Krisen und Reformstau gibt es in vielen Schwellenländern auch offene Flanken. Jahrelange Niedrigzinsen führten zu einer hohen Schuldenaufnahme, vor allem in Dollar. Doch in den USA steigen die Zinsen seit Ende 2015 wieder, und dürften angesichts niedriger Arbeitslosigkeit und hoher Wachstumsraten weiter angehoben werden. Das macht für viele Investoren den Dollar attraktiv - und setzt gleichzeitig Länder wie Brasilien, Argentinien oder Südafrika unter Druck. Der von US-Präsident Donald Trump angezettelte Zollstreit schürt zudem die Furcht vor einem weltweiten Handelskrieg.

"Wegen wachsender Risikoscheu ziehen Anleger Geld aus Schwellenländer-Währungen ab und schichten in 'sichere Häfen' wie Dollar oder Franken um", erklärt Devisenexperte Nils Ole Matthiessen von der Deutschen Bank. "Es gibt Ansteckungseffekte", warnt der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Volker Treier, in einem Reuters-Interview. Noch könne die deutsche Wirtschaft aber damit umgehen. Einige Anlagestrategen halten die Ansteckungsgefahr dagegen noch für gering. Die Defizite anderer Länder seien teils deutlich kleiner als in der Türkei oder bei früheren Schwellenländer-Krisen wie Anfang der 80er Jahre in Lateinamerika und Ende der 90er Jahre in Asien, führt Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann aus.

Trotzdem könnte die Stimmung schnell noch stärker kippen, warnt Maya Bhandari vom Vermögensverwalter Columbia Threadneedle. "Was die Türkei zu einem Problem für die Schwellenländer machen könnte, sind Kapitalverkehrskontrollen, die zu umfangreichen Verkäufen bei Schwellenländerfonds führen könnten."

Im Fokus der Investoren stehen neben der Türkei vor allem Argentinien, Brasilien und Indien. Ein Überblick:

Türkei: Schlinge zieht sich zu

Die Wirtschaftspolitik von Präsident Erdogan und die in Frage stehende Unabhängigkeit der Zentralbank untergraben das Vertrauen der Anleger. Hinzu kommt der Konflikt mit den USA um einen inhaftierten US-Pastor, den Erdogan als Angriff auf die türkische Wirtschaft wertet. Diese steht ohnehin auf einem wackligen Fundament: Die Inflation ist auf mehr als 15 Prozent gestiegen, das Handelsdefizit geht zwar zurück, liegt aber mit knapp sechs Milliarden Dollar noch vergleichsweise hoch.

Nach Einschätzung der US-Investmentbank Goldman Sachs könnte der Lira-Verfall die Kapitalpuffer der türkischen Banken aufzehren. Die US-Großbank JP Morgan hat errechnet, dass die Türkei allein bis Mitte nächsten Jahres umgerechnet 153 Milliarden Euro an Auslandsschulden zurückzahlen muss. Das entspricht fast einem Viertel der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. Bei Verbindlichkeiten von etwa 93 Milliarden Euro, die bis Juli 2019 beglichen werden müssten, bestehe ein Finanzierungsrisiko.

Finanzminister Berat Albayrak - Erdogans Schwiegersohn - sieht trotzdem keine großen Wirtschaftsrisiken für sein Land. Experten sind hier gänzlich anderer Meinung. Nur mit einem radikalen Kurswechsel gebe es eine Chance, die Währungskrise zu stoppen. "So müssten die Unabhängigkeit der Zentralbank sichergestellt, der Leitzins deutlich angehoben und das Finanzministerium neu besetzt werden", sagt Ayse Rüzgar von der DZ Bank.

Argentinien: IWF soll helfen

Im Kreuzfeuer steht momentan auch Argentinien. Die enorme Auslandsverschuldung von rund 200 Milliarden Dollar macht das südamerikanische Land besonders verwundbar. Zudem weist Argentinien mit dem Haushalt und der Leistungsbilanz ein doppeltes Defizit auf. Experten zufolge hat Präsident Mauricio Macri nur wenige Pfeile im Köcher, um dem Peso-Verfall von bislang 45 Prozent in diesem Jahr Herr zu werden. Dabei hat Macri nach Meinung von Experten mit seinen Reformen und der stärkeren Unabhängigkeit der Notenbank vieles richtig gemacht. "Macri macht die richtigen Sachen, aber er macht sie zwei Jahre zu spät", so der in Argentinien bekannte Ökonom Guillermo Nielsen.

Denn nur zwei Jahre nach der Rückkehr in die Wachstumszone, steuert Argentiniens Wirtschaft schon wieder auf eine Rezession zu. Die Regierung in Buenos Aires will nun eine vorzeitige Auszahlung von IWF-Hilfen. Der Peso steht auch wegen der hohen Inflationsrate unter Druck, die bei mehr als 30 Prozent liegt. Die Notenbank hat deswegen die Zinsen bereits auf 45 Prozent angehoben. Das Drehen an der Zinsschraube gegen die Inflation ist nach Meinung von Alberto Bernal vom Handelshaus XP Investments aber nur bedingt wirksam. Denn nach jahrelanger Wirtschaftskrise nehmen Verbraucher und Unternehmen kaum Kredite auf.

Brasilien: Wahlchaos könnte Krise verschärfen

Rund zwei Jahre nach der schweren Rezession wächst die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas langsam wieder. Der IWF geht für 2018 von einem inflationsbereinigten Wachstum von 1,8 Prozent aus. Problematisch ist den IWF-Experten zufolge aber die hohe Staatsverschuldung. Zudem fehlten dringend erforderliche Finanzreformen.

Auch die anstehenden Präsidentschaftswahlen im Oktober sorgen für Nervosität. Der in diesem Jahr bereits um rund 20 Prozent abgerutschte Real markierte zuletzt ein Zwei-Jahres-Tief, nachdem die Arbeiterpartei PT die umstrittene Kandidatur des wegen Korruptionsvorwürfen inhaftierten Ex-Präsidenten Luiz Ignácio Lula da Silva auf den Weg gebracht hatte. Viele Brasilianer machen seine von hohen Ausgaben und Skandalen geprägte Politik für den Absturz des Landes verantwortlich.

Indien: Währungsverfall trübt gute Daten

Indien wächst mit mehr als sieben Prozent jährlich so schnell wie kaum eine andere Volkswirtschaft weltweit. Das Land hat die Auslandsverschuldung und das Leistungsbilanzdefizit nach Meinung von Experten weitgehend im Griff. Krisen wirkten sich deswegen hier weniger aus als auf andere Schwellenländer.

Doch der Fall der Rupie um rund neun Prozent in diesem Jahr bei einer auf 4,5 Prozent angestiegenen Inflation fordert die Geldpolitik. Als Gegenmaßnahmen hat die Zentralbank die Zinsen seit April um insgesamt eine halben Prozentpunkt angehoben. Sollte die Währung weiter abwerten, dürfte es bei den nächsten Wahlen für Premierminister Narendra Modi schwierig werden, seinen Erdrutschsieg von 2014 zu wiederholen. Vor allem die mächtige Mittelklasse in Indien stöhnt über steigende Preise und auch viele indische Firmen fürchten niedrigere Gewinnmargen.

(Reuters)

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