Ein Dorf für die Kindererziehung

Jean Paul engagierte sich in Australien für Jugendliche in einer abgelegenen Aborigine- Gemeinschaft. Jetzt forscht sie von Innsbruck aus, wie man Kinder psychisch Erkrankter unterstützen kann.
Jean Paul engagierte sich in Australien für Jugendliche in einer abgelegenen Aborigine- Gemeinschaft. Jetzt forscht sie von Innsbruck aus, wie man Kinder psychisch Erkrankter unterstützen kann.(c) Uwe Schwinghammer
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Die Australierin Jean Paul kam nach Innsbruck, um dort ein internationales Projekt zu leiten. Ziel ist, Maßnahmen zu finden, die Kindern psychisch kranker Eltern helfen.

Schon von Jugend an hatte Jean Paul Interesse an der Arbeit mit Jugendlichen, am sozialen Zusammenleben von Gemeinschaften und an Kommunikation. In ihrer wissenschaftlichen Laufbahn hat die 32-jährige Australierin all das unter einen Hut gebracht. Seit Jänner 2018 ist sie wissenschaftliche Leiterin des „Village“-Projekts der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft und der Med-Uni Innsbruck, in dem Kinder psychisch Kranker unterstützt werden sollen, und lebt in Tirol.

Während ihres Doktoratsstudiums war Jean Paul der Frage nachgegangen, wie Menschen den Kontakt mit dem australischen Gesundheitssystem erleben und welchen Einfluss diese Erfahrungen auf sie haben. Dies ganz besonders auf dem Feld der Genetik. Paul: „Ich wollte einen PhD absolvieren, der für Ärzte und Patienten gleichermaßen nützlich war.“ Also machte sie sich zuerst auf die Suche nach problematischen Bereichen in der Kommunikation von Arzt und Patient auf diesem Gebiet. Wobei es sich bei den Patienten und Angehörigen oft um Kinder mit genetischen Erkrankungen und deren Eltern handelte.

Quälende Ungewissheit

Dabei stellte Paul fest, dass das, was in anderen medizinischen Bereich oft am schwersten zu kommunizieren war, nämlich schlechte Nachrichten, in diesem Feld selten vorkam. Wohl aber war für Eltern die Ungewissheit quälend, was ihrem Nachwuchs wirklich fehlte. Paul: „Darum war es oft befreiend, wenn Ärzte eine Diagnose stellen konnten, weil die Eltern dann wenigstens wussten, was mit dem Kind los ist.“ Oft waren die gelieferten Informationen aber aus verschiedenen Gründen vage, eine Diagnose nicht möglich. Mit entsprechend negativem Einfluss auf die Betroffenen, auch den Arzt: „Manche Ärzte haben das Gefühl, dass sie versagt haben. Sie erklären den Eltern dann, dass es in Zukunft ihr Kind betreffend sicher Verbesserungen geben wird, weil die Genetik so schnell fortschreitet.“ Was freilich für den Moment für Patienten und Angehörige unbefriedigend blieb.

Als Postdoc ging Paul ab 2015 einen Schritt weiter und beschäftigte sich damit, wie Ärzte ihre Entscheidungen zu genetischen Untersuchungen fällen. Urteilen sie zum Beispiel nach Kosten, Dringlichkeit, Erfahrungen? Jean Paul war dabei in ein Forschungsprojekt eingebettet, an dem sich 15 Universitäten beteiligt hatten.

Doch schließlich landete sie wieder bei Kindern: Vergangenes Jahr veranstaltete die Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft ein Ideas Lab. Dort waren Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und Nationen eingeladen, gemeinsam Konzepte für Forschungsgruppen zu erarbeiten. Aus diesem Labor gingen das Konzept und das Team für das Projekt „Village“ hervor, dessen wissenschaftliche Leiterin Jean Paul seit Jahresbeginn ist.

In dem Projekt wollen die Wissenschaftler erforschen, wie man Kinder von psychisch erkrankten Eltern möglichst früh erkennt und unterstützt. „Village“ wurde es deshalb genannt, weil es nach einem afrikanischen Sprichwort ein ganzes Dorf benötigt, um ein Kind großzuziehen. Jean Paul erinnert ihre neue Aufgabe an die Anfänge ihres Engagements in einer abgelegenen Aborigine-Gemeinschaft in Australien. Sie hatte sich dort als Jugend-Entwicklungskoordinatorin betätigt: „Diese Kinder waren oft sehr stark traumatisiert, aber man hat sie immer nur lachen gesehen. Insofern schließt sich hier vielleicht ein bisschen der Kreis zum ,Village‘-Projekt.“

Denn auch beim „Village“-Projekt müsse man erst einmal an der Oberfläche kratzen, um an die Problematik heranzukommen. Und dies mit sehr großer Vorsicht: „Kinder sind sehr verletzlich, es stellen sich viele ethische Fragen.“ Daher will man sehr stark mit Einrichtungen in Tirol zusammenarbeiten, die Anlaufstellen für die betroffenen Kinder und deren Eltern sein könnten.

Das Team, das Jean Paul koordiniert, besteht vorerst aus sieben Mitgliedern aus sechs verschiedenen Nationen – die sich großteils in ihren Heimatländern und nicht in Innsbruck befinden. Die Leitung ist daher eine Herausforderung für die Australierin: „Ich habe immer in einem multidisziplinären Umfeld gearbeitet, aber das hier ist eine ganz neue Erfahrung.“

ZUR PERSON

Jean Paul (32) wurde in Australien geboren. Sie studierte an der Universität Melbourne Französisch und Genetik und absolvierte einen Bachelor im Bereich Kommunikation in genetischer Beratung. 2015 promovierte sie zum Thema Kommunikation im Gesundheitswesen. Seit Jahresbeginn 2018 ist sie wissenschaftliche Leiterin des „Village“-Projekts der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft und der Med-Uni Innsbruck.

Alle Beiträge unter: www.diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2018)

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