Kreative Artenvielfalt: Die Biophilie der Stadtbewohner

Grünes Dach. Am Holiday Inn bei Notre Dame in Paris mit mexikanischer Halbwüstenvegetation.
Grünes Dach. Am Holiday Inn bei Notre Dame in Paris mit mexikanischer Halbwüstenvegetation.Yann Monel
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Die Natur muss in die Stadt. Nur: in welcher Form? Das Stadtgrün als Feld des Gestalters.

Pflanzen traut man ja fast alles zu. Auch, unsere Zukunft zu retten. Vor allem in der Stadt. Dort trifft das Urwüchsige aber zunächst einmal auf ziemlich viel Ordnung: Straßenverkehrsordnung, Bauordnung und noch ganz andere Vorgaben, die regeln, was, wie viel davon und wozu das Ganze. Die Natur muss sich da schon in ein paar bauliche Lücken flüchten, um den Stadtbewohnern gutzutun. Doch spätestens nach diesem Sommer wissen alle: Man muss die Städte herunterkühlen. Und dass nicht nur in den Innenräumen. Sondern überall. Mit Bäumen. Oder gar Wald. Oder zumindest Moos, das an vertikalen Flächen, gerahmt in Metall, etwas Frische in die staubig überhitzte Stadtluftglocke atmet. Und dazu muss man die Biophilie der Stadtbewohner, also die Liebe zur Natur, entlang einiger unkonventioneller Linien ausleben: den geraden, geometrischen, die die Architektur und die behördlichen Auflagen rundum gezogen haben. Oder etwa ein Start-up, das sich Green City Solutions nennt und den Stadtbaum in seiner subjektiven Zukunft ziemlich rechteckig vor Augen hat.

Baumraum

In Wien hat ein traditioneller Stadt- oder Straßenbaum, also einer, der nicht im Park wächst, ungefähr 86.999 Kollegen. Davon sind 23.000 noch immer Ahornbäume, 10.000 Rosskastanien und immerhin neun Tannen. Und ordentlich, wie Wien nun mal ist, sind alle registriert und einem konsequentem Monitoring unterworfen. Online, im Baumkataster, kann man dann schauen, was da auf der Straße wächst. Oder zumindest versucht, zu wachsen. Denn das Wasser von oben wird weniger. Da rücken in den Grätzeln dann schon mal Baumanrainer mit der Gießkanne an. Und auch unter der Krone hat der Stadtbaum wenig Spielraum, auch wenn hauptsächlich "schlankkronige" auf der Liste der Baumkandidaten stehen. Da müssen auch noch die Lkw durchpassen. Dazu der Schmutz. Und wenig Licht. Die Stadt macht es den Bäumen nicht leicht, Schatten und Kühle durch Verdunstung zu spenden.

Grüne Wand. Der Stadtbaum aus dem Designstudio: "City Tree" von Green City Solutions.
Grüne Wand. Der Stadtbaum aus dem Designstudio: "City Tree" von Green City Solutions.Green City Solutions

Das Dresdner Start-up Green City Solutions hat nun den Stadtbaum gänzlich neu angelegt. Nämlich tatsächlich als technische Anlage, als Wand, die vier Meter hoch und mit Moos bewachsen ist. Und ähnlich wie ein richtiger Baum versorgt sich der "City Tree" selbst. Mit Sonnenenergie und Regenwasser. Doch ganz anders als sein natürliches Vorbild lässt er sich auch mit digitalen Applikationen stadttauglich machen, als Info- oder Werbetafel, das erhöht die Überlebenschancen des marktfähigen Stadtmobiliars im Großstadtdschungel. Als Luftfilteranlage leistet der Design-Stadtbaum durchaus seine Dienste: Die Moose an der Wand binden 30 Kilogramm Kohlendioxid pro Jahr und so viele Feinstaubpartikel wie 275 Bäume. Trotz großer Ambitionen und verschiedener Testphasen hat sich der "City Tree" aber noch nicht nachhaltig in deutschen und internationalen Städten verwurzeln können. Deswegen ziehen die Baumschulen auch weiterhin andere Konzepte groß: etwa jenes, neue Baumarten in die trocken-heiße Zukunft der Städte zu schicken.

Stadtraum-Klima

Musée du Quai Branly in Paris
Musée du Quai Branly in ParisYann Monel

Aber die Stadt braucht nicht nur Bäume, ordentlich aneinandergefädelt. Sondern auch in dichter, gehäufter Form: als Wald. Im Buch "Biophilia in der Stadt" beschwört der Autor Clemens G. Arvay als Nächster von vielen die "Liebe zur Natur", die in der Stadtgestaltung Ausdruck finden sollte. Das "Waldbaden" habe nachweislich gesundheitsfördernde Effekte. Und das "Stadtwaldbaden" natürlich auch. Praktisch, wenn man mit der Straßenbahn hinfahren kann, wie in Wien, wo die grüne Zukunft schon Anfang des 20. Jahrhunderts von Karl Lueger festgeschrieben wurde: dass nicht nur Straßen die Stadt umgürten sollen, sondern vor allem auch ganz außen Grün, Grün, Grün.

Buchtipps

Doch noch besser als Natur heranholen ist, sie hereinzuholen: Der Band "City Trop" zeigt Beispiele, in welche Richtungen diese Auswüchse führen dürfen. Auch weil sie zum Teil Gestalter mit botanischem Hintergrund und manchmal grünen Haaren dorthin gelenkt haben: Der Franzose Patrick Blanc hat das Prinzip Grünfläche genial gekippt. Vertikal. Zu grünen Wänden. Wie etwa an der Fassade des Musée du Quai Branly in Paris. Aber auch an jenen Stellen, wo die Stadt öfter dunkler ist. Dort lässt er Moose und Farne wachsen und wuchern, als wäre man im unwirtlichsten Teil Patagoniens. Angeblich wurde dies nur möglich, so erzählt es der Ideen-Schöpfungsmythos, weil Blanc einmal auf der Uni einen Putzfetzen entdeckte. Dieser war mit Moosen und Algen bewachsen. Inzwischen skaliert er dieses Prinzip mittels Kunststoffvlies auf die Größe ganzer Hausfassaden. Dabei setzt er auf extreme Artenvielfalt. Auf einer 25 Meter hohen Wand in Paris findet man 237 verschiedene Spezies. Oben die lichtbedürftigen, windresistenten Kleingehölze. Unten die eher schattenverträglichen Arten."City Trop". Zeigt Beispiele von New York bis Paris, wie Städte grüner wachsen, vertikal und horizontal. Von Jonas Reif. Verlag Eugen Ulmer.

"Biophilia in der Stadt". Clemens G. Arvay spürt den Heilkräften der Natur im urbanen Raum nach. Erschienen im Goldmann-Verlag.

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("Die Presse-Schaufenster", Print-Ausgabe, 31.08.2018)

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