Die „New York Times“ publizierte den Beitrag eines Insiders mit massiven Vorwürfen gegen den Präsidenten.
New York. Von einem noch nie dagewesenen Aufstand gegen den amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten sprechen die einen, von einem PR-Gag die anderen. Mit der Veröffentlichung eines anonymen Gastbeitrags eines Mitarbeiters der Regierung sorgt die „New York Times“ für Aufsehen. In dem auf den Meinungsseiten veröffentlichten Artikel ist unter anderem von einem „ungestümen“ und „kleinkarierten“ Präsidenten die Rede, der bewusst von seinem eigenen Stab unterminiert werde.
Die Anschuldigungen haben es tatsächlich in sich. „Präsident Trumps Impulse sind generell gegen den internationalen Handel und gegen die Demokratie gerichtet“, heißt es. Und weiter: Im privaten Rahmen zeige Trump „Präferenzen für Autokraten und Diktatoren, wie etwa Russlands Präsidenten, Wladimir Putin, und Nordkoreas Führer, Kim Jong-un“. Ein Teil des Weißen Hauses arbeite „von innen heraus gegen die Agenda und die schlimmsten Neigungen“ des Präsidenten.
Die Reaktionen auf den Gastkommentar fielen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Der Verfasser sei feige und, wenn überhaupt, „aus falschen Gründen“ ein Teil seiner Regierung, ließ Trump ausrichten. Auf Twitter wiederum sprach der Präsident von „Hochverrat“, und in einer Aussendung nannte das Weiße Haus die Anschuldigungen „armselig, rücksichtslos und egoistisch“. „Dieser Feigling sollte das einzig Richtige tun und zurücktreten.“
Die Veröffentlichung in der „New York Times“ kommt unmittelbar nach den Enthüllungen in dem neuen Buch des Journalisten Bob Woodward. Auch darin wird der Präsident als aggressiver Choleriker dargestellt, der unter anderem die Tötung des syrischen Machthabers, Bashar al-Assad, gefordert haben soll. Trump bestreitet das. Diese Option sei nicht einmal erwogen worden.
Auch wenn der frühere Immobilientycoon im Prinzip seit seiner Wahl im November 2016 im Kreuzfeuer der Kritik steht, haben die Anschuldigungen gegen Trump zuletzt doch in ihrer Häufigkeit und Intensität zugenommen. Sie treffen das Weiße Haus zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, stehen doch in zwei Monaten Kongresswahlen an, bei denen es für die Republikaner um die Mehrheiten im Abgeordnetenhaus und im Senat geht.
Kritik an der „New York Times“
So sind es auch die politischen Implikationen, die einige Beobachter an der Seriosität der „New York Times“ zweifeln lassen. Selbst aus der „Washington Post“ hagelte es Kritik. „Es handelt sich um einen PR-Stunt“, schrieb das Blatt in einem Meinungsartikel. Eine Qualitätszeitung wie die „New York Times“ hätte den Beitrag niemals veröffentlichen dürfen, ohne den Namen des Verfassers zu nennen. Es fehle der Nachrichtenwert, weil es ohnehin „schon circa 10.000 Zitate von anonymen Offiziellen gibt, die Trumps Fähigkeiten infrage stellen“.
Trumps Lieblingssender Fox News wiederum urgierte, dass nun alle Journalisten, auch jene der „New York Times“, aufgefordert seien, den Verfasser des Artikels zu finden und den Namen zu veröffentlichen. James Dao, Chef der Meinungsseite beim New Yorker Traditionsblatt, verteidigte die Entscheidung und garantierte dem Offiziellen weiterhin volle Anonymität. In den USA sind die Meinungskolumnisten der Zeitungen von den restlichen Journalisten strikt separiert und nicht ins Tagesgeschäft involviert. Der Kreis jener, die den Namen des Verfassers kennen, dürfte also sehr klein sein.
Die Spekulationen, wer denn der „Verräter“ innerhalb des Weißen Hauses sein könnte, waren voll im Gang. Von Vizepräsident Mike Pence über Stabschef John Kelly bis hin zu weniger einflussreichen Stellvertretern reichen die Mutmaßungen. Die „New York Times“ spricht von einem „senior administration official“ – ein Ausdruck, der von US-Medien regelmäßig verwendet wird, wenn anonyme Informationen aus der Regierung nach außen dringen.
Selbst bei enger Definition kommen bis zu hundert Personen dafür infrage, neben den wichtigsten Beratern des Präsidenten auch deren Assistenten sowie die 15 Minister und deren Stellvertreter. Manche Beobachter empfehlen der „New York Times“ nun, zumindest die Position des Verfassers etwas zu spezifizieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2018)