Verfassungschutzschef sorgt mit "steilen Thesen" zu Chemnitz für Aufregung

Archivbild: Hans-Georg Maaßen im Juli in der Bundespressekonferenz
Archivbild: Hans-Georg Maaßen im Juli in der Bundespressekonferenzimago/Jürgen Heinrich
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Hans-Georg Maaßen sprach von "gezielten Falschinformationen" und bezweifelte, dass es Hetzjagden in Chemnitz gab. Die Opposition ist empört, Innenminister Seehofer sieht sein Vertrauen in Maaßen aber nicht erschüttert.

Der deutsche Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen hat Zweifel an Berichten über Hetzjagden während der Demonstrationen in Chemnitz geäußert und stößt damit auf breite Kritik. SPD, Grüne, Linke und FDP zeigten sich am Freitag empört. Auch Rücktrittsforderungen wurden laut.

"Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz werden von mir geteilt", sagte Maaßen zur "Bild"-Zeitung (Freitagsausgabe). Dem Verfassungsschutz lägen "keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben".

Über das Video, das Jagdszenen auf Menschen mit Migrationshintergrund nahe des Johannisplatzes in Chemnitz zeigen soll, sagte Maaßen: "Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist." Nach seiner vorsichtigen Bewertung sprächen gute Gründe dafür, dass es sich "um eine gezielte Falschinformation" handle, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.

Rückendeckung von Seehofer

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU ) steht laut Ministerium hinter Maaßen. Auf die Frage, ob Maaßen noch das Vertrauen Seehofers genieße, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums am Freitag in Berlin: "Selbstverständlich." 

Die Ministeriums-Sprecherin sagte, der Verfassungsschutz habe dem Innenressort mitgeteilt, dass es Zweifel an der These von Hetzjagden gebe. Dies hatte Maaßen auch in der "Bild"-Zeitung gesagt. Der Verfassungsschutz-Chef habe aber keine Belege dafür vorgelegt. Unter anderem hatte er der Zeitung gesagt, das Video zu den Vorfällen sei möglicherweise nicht authentisch und die Öffentlichkeit sollte dadurch möglicherweise von dem Mord an einem Deutschen abgelenkt werden. Maaßen sei um einen Bericht gebeten worden, um seine Aussagen zu untermauern, sagte die Sprecherin. Seehofer hat sich ihren Angaben zufolge selbst noch nicht festgelegt, ob es in Chemnitz Hetzjagden gab.

Regierungssprecher Steffen Seibert allerdings vermied eine direkte Antwort auf die Frage, ob Kanzlerin Angela Merkel Maaßen ihr Vertrauen ausspreche. "Herr Maaßen hat eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe", sagte er nur.

Fakten gefordert

Der deutsche Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann sagte, er habe für die Äußerungen von Maaßen kein Verständnis. Der Verfassungsschutz-Präsident sorge im Augenblick für Verwirrung. "Wir haben Bilder gesehen, wir haben Zeugen gehört, wir haben gesehen, wie Menschen da den Hitler-Gruß offen auf der Straße gezeigt haben", sagte Oppermann im Deutschlandfunk. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka, sprach angesichts von Medien- und Augenzeugenberichten von einer "ziemlich steilen These". "Als Präsident des Bundesverfassungsschutzes sollte sich Herr Maaßen nicht an wilden Spekulationen beteiligen, sondern schnellstens Fakten auf den Tisch legen", sagte er dem "Handelsblatt".

Linken-Chefin Katja Kipping sagte, Maaßen sei in seinem Amt nicht mehr haltbar und müsse entlassen werden. "Anstatt die Verfassung zu verteidigen, gibt Maaßen den AfD-Versteher und missbraucht die Autorität seines Amtes, um jenen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen, die in Chemnitz den Hitlergruß zeigten und zum Töten von Menschen aufriefen."

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt bezeichnete Maaßen und den deutschen Innenminister Horst Seehofer als Fehlbesetzungen. Allein die Tatsache, dass sich Maaßen nur zu einem Video, aber nicht zu den Gewalttaten und dem öffentlichen Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen in Chemnitz äußere, zeige, dass Maaßen seiner Aufgabe nicht mehr gerecht werde. Auch der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle sagte im "Handelsblatt", Maaßen müsse die Gründe benennen, die für eine Falschinformation sprächen und nicht die Öffentlichkeit verunsichern.

Maaßen steht derzeit auch wegen Kontakten zur AfD in der Kritik. Er soll sich mehrfach mit der früheren Vorsitzenden Frauke Petry getroffen haben. Es steht der Vorwurf im Raum, Maaßen habe ihr dabei Ratschläge gegeben, wie sie eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz vermeiden könne. Medienberichten zufolge soll Maaßen zudem versucht haben, den Einsatz eines V-Mannes im Umfeld des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri zu verschweigen.

Auch Sachsens CDU hat Verständnis für Maaßen

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) stellte sich dagegen hinter Maaßen. Er verwies im MDR darauf, dass ebenso der Generalstaatsanwalt in Sachsen keinerlei Erkenntnisse habe, dass es sich um Hetzjagden gehandelt habe. Auch Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte am Mittwoch in einer Regierungserklärung gesagt: "Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom in Chemnitz." Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Regierungssprecher Steffen Seibert hatten dagegen vergangene Woche sehr wohl von Hetzjagden gesprochen und diese verurteilt.

Nach der Tötung eines Deutschen vor knapp zwei Wochen war es in Chemnitz zu einer Reihe von Aufmärschen rechter Gruppen sowie zu rassistisch motivierten Ausschreitungen gekommen. Wegen der Tat sitzen zwei Asylbewerber in Untersuchungshaft. Nach einem dritten Tatverdächtigen, einem Iraker, wird gefahndet.

(APA)

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