Österreichs ewiges Vorbild: Wenn unser Schweden wählt

Am Sonntag wird in Schweden gewählt.
Am Sonntag wird in Schweden gewählt.REUTERS
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Zu keinem anderen Land sind die Parallelen so deutlich wie zu Schweden: in Problemen, seltsamer Vergangenheitsliebe und übertriebener Zukunftsangst.

Schweden ist, oder besser: war Österreichs ewiges Vorbild. Für die Sozialdemokraten war Olof Palmes Heimat das offizielle Sehnsuchtsland: schöner Wohlfahrtsstaat, echte Neutralität, liberale Gesellschaftspolitik und zumindest auf dem Papier eine keynesianische Wirtschaftsschule mit vielen öffentlichen Investitionen. Letztere begeisterten österreichische Konservative und Wirtschaftsliberale in schlechten Zeiten: Mit Göran Persson redimensionierte ein sozialdemokratischer Premier nach einer massiven Budget- und Bankenkrise den Sozialstaat und sparte das Land gesund, mit Duldung der Gewerkschaften. Schweden war das Traumland, von dem sich fast jeder aus der Ferne bediente fühlte. Von Ikea, Volvo und Pippi Langstrumpf ganz zu schweigen.

Das war einmal.

Was geblieben ist, ist die Verbundenheit zweier an sich höchst erfolgreicher Länder zwischen Ost und näherem West.

Heute liefert dasselbe, aber eben nicht mehr gleiche Land Schlagzeilen, die den politischen Niedergang beschreiben: „Schwedenrätsel“, „Stadt, Land, Frust“ oder „Armer Schwede“, heißt es in deutschen Schlagzeilen. Das Land, das wie Österreich 2015 die meisten Flüchtlinge willkommen heißen musste, steht vielleicht vor dem Machtwechsel. Erstmals seit 100 Jahren könnten die Sozialdemokraten Platz eins (und meist Regierungsverantwortung) abgeben müssen, da die rechtspopulistischen Schwedendemokraten auf ihre Kosten (und jener der Liberal-Konservativen) am Sonntag enorm zulegen könnten und wohl werden. In vielen europäischen Hauptstädten ist von einem Dominoeffekt die Rede, davon, dass wieder ein Land nach rechts rücke. Das klingt fast, als wäre alles nur ein Spiel oder ein Land falle um.

Interessanterweise sind vor rund zehn Jahren in vielen Medien ebenfalls bereits Nachrufe auf Schweden formuliert worden. Das Land zählt auch heute noch zu den reichsten, sichersten und fairsten der Welt. Spricht man mit Schweden über ihre Heimat, gewinnt man den Eindruck, es gäbe zwei Schweden: die Städte, in denen sich Lebensfreude und Probleme konzentrieren, das Land, in dem die Zukunftsangst fast so groß wie die Vergangenheitsliebe ist. Es gibt das Schweden mit geringer Kriminalität im internationalen Vergleich, es gibt das Schweden der Schießereien und Bandenkriminalität. Die den sozialdemokratischen Premier laut nachdenken lässt, das Militär dagegen einzusetzen. Donald Trump sprach sogar unkorrekt, aber doch plastisch davon, dass es in den USA eben nicht wie „vergangene Nacht“ in Schweden zugehen dürfe. Das sind Widersprüche, die Österreichs Polarisierung in Gut und Böse, in Hell und Dunkel, Oase und Wilden Westen fast übertreffen.

Sollte am Sonntag eine der letzten und symbolstärksten sozialdemokratischen Bastionen der Welt fallen, kommt nicht nur eine schwierige Regierungsbildung auf die Schweden zu, sondern eine bittere Erkenntnis für Europa. Nein, es sind nicht nur die vermeintlich rückwärtsgewandten ost- und mitteleuropäischen Staaten, die sich gegen Zuwanderung stemmen, sondern eben eigentlich alle europäischen Länder. Die Wähler, die den neuen alten Parteien weit rechts der Mitte folgen, stellen auch der Integrationspolitik ihrer Länder ein schlechtes Zeugnis aus. Zu lang hat man das Problem geleugnet oder schöngeredet.


Wer glaubt, das Phänomen Rechtspopulismus verschwindet, wenn man im europäischen Wald laut „Freude schöner Götterfunken“ pfeift, irrt. Die Parteien rechts und links der Mitte werden dann wieder wählbar, wenn sie klare Konzepte auf den Tisch legen, die die Stimmen für die Verkünder billiger Versprechen unnötig machen. Deren Parteien einfach als Regierungspartner kategorisch auszuschließen, macht diese übrigens nur stärker. Stattdessen Regierungsverantwortung und mögliche -(un)fähigkeit abzuverlangen und diese dann auf offener Bühne vorzuführen kann den Offenbarungseid liefern.

In Österreich findet das Experiment unter großem nationalen und teilweise internationalem Interesse statt. Scheitern oder Erfolg sind noch immer möglich. Gut möglich, dass Schweden und Österreich weiter oder wieder parallel schwingen. In guten wie in schlechten Zeiten.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2018)

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