Bei der Parade zum 70.Jahrestag der Staatsgründung ließ das Regime zwar Panzer und Kanonen auffahren – aber keine Interkontinentalraketen. Kim wollte nicht provozieren.
Pjöngjang/Tokio. Dieses Mal hat Nordkoreas Diktator Kim Jong-un überraschend seine schärfsten Waffen in den Arsenalen gelassen. Bei der groß angekündigten Militärparade zum 70.Jahrestag der Staatsgründung in Pjöngjang ließ das Regime am Sonntag zwar Panzer und Kanonen auffahren, seine Elitetruppen im Stechschritt aufmarschieren, zeigte aber – anders als gewöhnlich – keine ballistischen Interkontinentalraketen.
Dieser abgespeckte Militäraufmarsch gibt Rätsel auf. Derartige Anlässe werden üblicherweise genutzt, um die Herrlichkeit des Führers, seine Erfolge und die militärische Macht des Systems zu demonstrieren. Kim war zwar anwesend, überließ die Festrede jedoch dem zeremoniellen Staatsoberhaupt Kim Yong-nam.
Keine prominenten Gäste
Warum hat der Machthaber diese großartige Gelegenheit nicht für eine säbelrasselnde Heerschau genutzt? In Seoul gibt es dafür mehrere plausible Erklärungen. „Kim hat seinem Volk derzeit nicht viel Großartiges vorzuweisen“, sagt Shin Beom Chul vom „Asian Institut“ für politische Studien. „Es gibt keine signifikanten Fortschritte in den Verhandlungen mit den USA, die es zu feiern gäbe.“ Ein Säbelrasseln jedoch könne US-Präsident Donald Trump, der ohnehin mit dem Gang der nuklearen Abrüstung unzufrieden sei, weiter provozieren, vermutet der Politologe.
Da sie genau das aber befürchtet hatten, waren keine prominenten Staatsgäste aus dem „befreundeten“ Ausland China oder Russland angereist. Vor allem Chinas Staatschef, Xi Jinping, war zur Jubiläumsshow eingeladen worden. Xi sagte ab, TV-Bilder mit Kim und Xi vor der Kulisse eines provozierenden Waffenspektakels wären in Washington auf harsche Kritik gestoßen. Trump hatte China mehrfach die Schuld an den ausbleibenden Erfolgen in der Nordkorea-Diplomatie gegeben.
Ein wichtiger Aspekt für die auffällige Zurückhaltung des Kim-Regimes ist sicher auch der für den 18. bis 20.September geplante innerkoreanische Gipfel in Pjöngjang. Südkoreas Präsident Moon Jae-in drängt Kim immer wieder, mit ihm und Trump über eine „komplette Denuklearisierung“ zu verhandeln. Skepsis, ob der bereits dritte innerkoreanische Gipfel in diesem Jahr wirklich konkrete Resultate erbringt, ist jedoch angebracht. Sowohl die Begegnung zwischen Trump und Kim in Singapur als auch die beiden Treffen Moon/Kim im April und Mai am Grenzkontrollpunkt Panmunjom, endeten ohne konkrete Zusagen Nordkoreas, sein Atom- und Raketenprogramm auch nur einzufrieren oder gar abzurüsten.
USA frustrieren Kim
Bisher ist der nordkoreanische Führer nicht zu einem entschlossenen Schritt bereit. Stattdessen wiederholt Kim die Phrase, man solle die „Bemühungen zum Erreichen der Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel intensivieren.“ Es heißt also immer noch: Sollen und nicht müssen, und vor allem nicht wie oder wann. Nach Ansicht des Kim-Regimes gehe die „nukleare Bedrohung“ in dem 65 Jahre nach dem Bruderkrieg noch immer geteilten Land nicht von der nordkoreanischen Aufrüstung aus. Nach Lesart der nordkoreanischen Propaganda sind die in Südkorea stationierten 30.000 amerikanischen Militärkräfte der entscheidende Kriegsfaktor und Pjöngjang fühlt sich bedroht.
Daraus soll die Welt den Schluss ziehen, dass eine Abrüstung der nordkoreanischen Atomwaffen nur als Folge amerikanischer Sicherheitsgarantien denkbar sei. Kim Jong-uns Ansicht nach wäre jedoch auch dies nur ein erster Schritt, um Vertrauen zu schaffen. Südkoreanische Medien berichten, der Diktator habe sich bei dem Treffen mit der Delegation aus Seoul zudem als „frustriert“ gezeigt, weil die USA seine „Gesten des guten Willens“ nicht anerkennen würden. Die nordkoreanische Propaganda behauptet, Washington betreibe ein „doppeltes Spiel“. Pjöngjang beklagt, „die USA sind immer noch nicht in der Lage, die nordkoreanischen Erwartungen zu erfüllen.“
Gemeint sind offenbar die noch immer geltenden internationalen Sanktionen gegen das kommunistische Regime und ebenso die Forderung nach einem Friedensvertrag. Dieser wird auch von Südkorea mit Nachdruck angestrebt. Dafür wäre aber auch die Unterschrift der USA als Teilnehmer des Waffenstillstands von 1953 unverzichtbar. Trump benötigt für die Ratifizierung eines solchen Abkommens jedoch eine Zweidrittelmehrheit im Kongress.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2018)