Wann kommt gerichtlich beeidetes Kaffeesudlesen?

Unsinn mit Qualitätsgarantie: Wie man Seriosität und Qualität heute vorgaukelt und Kunden wie Patientinnen verschaukelt.

Nur ein, zwei Perry-Rhodan-Hefte habe ich in meiner Jugend gelesen. Es war mir aber dann zu mühsam, mich in dieser Science-Fiction-Welt mit ihrer eigenen Begrifflichkeit und Wirklichkeit zurechtzufinden. Eine komplexe, wenngleich in sich schlüssige Schattenwelt aus Figuren, Gesetzmäßigkeiten in einem hoch entwickelten Geflecht aus gemeinsamer Geschichte – pfuh.

Ein wenig von der Faszination, die so eine Scheinwirklichkeit ausübt, konnte ich aber nachvollziehen. Ähnlich wie die Welt von „Harry Potter“ oder „Herr der Ringe“ es mit wirkungsmächtigen Bildern und ebensolcher Sprache erlaubt, von der Wirklichkeit aus einzutauchen in ein Szenario mit anderen, geheimnisvollen Regeln, Kausalitäten und Effekten.

Oder – die Macht der Sterne, welche ja die Fantasiewelt der Astrologie erschließbar zu machen vorgibt. Doch halt. Astrologen sind geschätzte Mitglieder im Fachverband der gewerblichen Dienstleister des verfassungsmäßig verankerten Sozialpartners Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Der Fachverband erstellte nicht nur ein „Berufsbild Astrologie“ und eine Ausbildungsempfehlung, auch eine „Ethik-Richtlinie Astrologie“ wurde geschaffen.

Mit dem Segen der WKO

Demnach „wird der/die verantwortungsbewusste AstrologIn bei der Interpretation von Horoskopen nach bestem Wissen und Gewissen das astrologische Know-how (sic!) ständig überprüfen und weiterentwickeln, es nur innerhalb der Grenzen der Fachkompetenz(!) anwenden und gegebenenfalls an Fachleute anderer Disziplinen weiterempfehlen.“

Es soll also mit dem Segen der Wirtschaftskammer der Eindruck entstehen, man könne Astrologie als seriöse Disziplin allen Ernstes kompetent und qualitätsgesichert betreiben. Das ist kein Einzelfall. Fast noch bemerkenswerter ist all das Machwerk, das um die sagenumwobenen (ebenfalls im Fachverband gewerblicher Dienstleister verankerten) Humanenergetiker errichtet wurde. So wird nahegelegt, Kunden, die deren Dienste in Anspruch nehmen wollen, ein Aufklärungsformular unterzeichnen zu lassen, in dem es heißt: „Die Wirkungsweise und der Erfolg der energetischen Behandlung ist naturwissenschaftlich nicht belegt beziehungsweise bei bestimmten Methoden widerlegt.“

Will der brave Energetiker seine Arbeit dennoch qualitätsgesichert (auf „Silber-Niveau“) ausüben, so stellt ihm sein Fachverband einen Kriterienkatalog als wertvolle Handreichung zur Verfügung. So sind die angewandten Methoden festzuhalten: Hat man sich nun etwa der „Interpretation der Aura“ bedient oder vielleicht „Planetenkonstellation und lunare Energien“ betrachtet? Oder war es nicht doch auch angezeigt, „Düfte, Farben, Musik oder Edelsteine“ auszuwählen? Die seriöse Energetikerin kann qualitätsgesichert auf vielerlei aus ihrem Schatzkästchen zurückgreifen. Es steht ja auch eine (etwa vom Wirtschaftsforschungsinstitut Oberösterreich angebotene) „Ausbildung“ dahinter. Im Modul 3 erfährt die angehende Jung-Energetikerin besonders Aufschlussreiches: „Obwohl der Humanenergetiker im feinstofflichen Bereich arbeitet, hat er es doch mit dem lebendigen, grobstofflichen Köper zu tun“. So, so.

Es soll also wohl vermittelt werden, es gebe neben den ganzen üblen Scharlatanen und Betrügern auch so etwas wie „gute“ Astrologinnen und Energetiker, die solide ausgebildet sind und qualitätsgesicherte, hochwertige Leistungen anbieten. Ich halte das schlicht für absurd. Eine Methode, die über kein evidenzbasiertes, naturwissenschaftlich belegtes Fundament verfügt, kann durch ein Brimborium an Richtlinien, Diplomen, Formularen und „Gütezeichen“ nicht reingewaschen werden. Und schon gar nicht durch Institutionen, die hohe gesellschaftliche Verantwortung tragen.

Pendelkurse, Register, Diplome

Volkshochschulen haben als Bildungseinrichtungen zusätzlich zum Regelschul-, Fach- und Hochschulwesen eine wesentliche Aufgabe zu erfüllen. Im Leitbild des Dachverbands heißt es dementsprechend: „Wir orientieren uns am aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung“. Neben zahlreichen wertvollen Kursen finden sich dann aber bei einzelnen Volkshochschulen auch Kursangebote wie „Pendeln in Theorie und Praxis“, „Homöopathie (in der Kursbeschreibung als „wirksame Methode zur Anregung der Selbstheilungskräfte“ beschrieben; Anm.)für die ganze Familie“, „Wohlbefinden mit Schüßlersalzen“.

In der Kurzbeschreibung zu letztgenanntem Kurs ist zu lesen, dass es „keine wissenschaftlich anerkannte Wirksamkeit der Schüßlersalze gibt“. Richtig! Ich frage mich, was man dann vier Stunden lang darüber erzählen kann – über etwas, das es eigentlich gar nicht gibt. Solche Kurse sollten von Institutionen mit einem seriösen Bildungsanspruch nicht angeboten werden.

Worüber Apotheker beraten

Ich empfinde es auch nicht als schlüssig, wie das medizinisch-pharmazeutische Establishment mit parawissenschaftlichen Ansätzen umgeht. Liest man die Informationen zu Homöopathie auf der Website der Apothekerkammer, erhält man einen diffusen, schwammigen Eindruck.

Es findet sich gewunden Schwurbeliges wie „...daran scheiden sich die Geister“; „Der wissenschaftliche Nachweis einer Wirkung ist meist nicht oder nur schwierig zu erbringen“; „Manchmal ist die Ausgangssubstanz nicht mehr nachweisbar“ – Hauptsache, man verweist stets auf fachkundige Beratung in der Apotheke. Dort erhält man dann diese „Arzneien“, vielfach frei von Wirkstoffen und ohne Nachweis von Wirksamkeit – und doch im Einklang mit einem strengen Registrierungs- und Zulassungssystem (die Wirkstoffe in registrierten homöopathischen Arzneimitteln müssen so weit verdünnt sein, dass deren Unbedenklichkeit gewährleistet ist).

Also was jetzt? Worüber soll denn der Apotheker/die Apothekerin kompetent beraten, wenn nix drin ist und es nicht wirkt? Über den ganzen Auslöschungs-, Aufbewahrungs-, Verstärkungs- und Einnahmehokuspokus?

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hält zu den „nicht wissenschaftlich fundierten Therapierichtungen“ (insbesondere Homöopathie und Anthroposophie; Anm.) fest, dass für sie „keine den modernen arzneitherapeutischen Heilmethoden vergleichbare Wirksamkeitsnachweise vorliegen“.

Und wozu die ganzen Diplome?

Wozu erwerben dann eigentlich Ärztinnen und Ärzte das Diplom der hiesigen Ärztekammer für „Anthroposophische Medizin“ oder „Homöopathie“? Damit sie qualitätsgesichert den Patientinnen erklären können, warum diese Ansätze nicht wirken können?

In all diesen Fällen (und in vielen mehr) wird schlicht Qualität und Seriosität vorgegaukelt und werden Kunden wie Patientinnen verschaukelt. Übrigens – wann bekommen wir endlich den gerichtlich beeideten Sachverständigen fürs Kaffeesudlesen?

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor:

Thomas Jakl (* 1965) ist Biologe und Erdwissenschaftler. Er arbeitete bis 1991 an der Uni Wien, wechselte dann ins Umweltministerium.
Inzwischen ist er in leitenden Funktionen im Bereich des Umweltschutzes in verschiedenen nationalen und internationalen Institutionen tätig. Unter anderem ist er Mitglied des Vorstands des Forums Wissenschaft und Umwelt; er war Vorsitzender des Verwaltungsrats der EU-Chemikalienagentur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2018)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.