Syrien: Bombenhagel auf Rebellenbastion

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SYRIA-CONFLICT-IDLIB(c) APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR
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Mit den heftigsten Luftangriffen seit Wochen bereiten Moskau und Damaskus die Regierungsoffensive gegen Idlib vor. Offenbar wurden Fassbomben eingesetzt. Millionen Menschen sind eingekesselt.

Istanbul/Damaskus. Heftige Luftangriffe russischer und syrischer Kampfjets und Hubschrauber haben am Sonntag die erwartete Regierungsoffensive in der Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei vorbereitet. Syrische Beobachter teilten mit, bei den Angriffen seien am Wochenende 22 Zivilisten getötet worden. Die Bombardements zerstörten außerdem drei Krankenhäuser. Mehrere Tausend Zivilisten fehlt deshalb nun der Zugang zu medizinischer Versorgung. Laut Medienberichten zieht die benachbarte türkische Armee derzeit an der Grenze zu Idlib weitere Truppen zusammen. Ankara droht mit einem Eingreifen in der Provinz.

Die neue Welle von Luftangriffen hatte unmittelbar nach dem Scheitern eines Gipfels von Russland, Iran und der Türkei am Freitag begonnen. Beim Treffen hatten Russland und Iran gegen türkischen Widerstand ihre Entschlossenheit bekräftigt, zusammen mit der Regierung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad in Idlib anzugreifen.

Heftigstes Bombardement seit Wochen

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zählte mehr als 160 Luftangriffe in 48 Stunden – „das heftigste Bombardement seit Wochen“. Idlib ist die letzte Rebellenhochburg in Syrien nach mehr als sieben Jahren Krieg. Die Vertreibung der Aufständischen aus der Region würde den Sieg des syrischen Assad-Regimes in dem blutigen Bürgerkrieg besiegeln. Die UNO warnt vor einer humanitären Katastrophe, weil in Idlib mehrere Millionen Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens leben. Die Grenze zur Türkei ist geschlossen – die Menschen haben also keinen Ausweg.

Das Muster der Luftangriffe vom Sonntag legte nahe, dass die Verteidigungslinien der Rebellen im Süden von Idlib unter Druck gesetzt werden sollen, um einen Vormarsch von Bodentruppen vorzubereiten. Die Beobachtungsstelle teilte mit, syrische Hubschrauber hätten Fassbomben auf mehrere Dörfer in der Gegend abgeworfen. Dabei sei mindestens ein kleines Mädchen getötet worden.

Kampfflugzeuge nahmen zudem mutmaßliche Rebellenpositionen in der südlich von Idlib gelegenen Provinz Hama unter Beschuss. Nach Angaben der medizinischen Hilfsorganisation UOSSM wurden bei den Angriffen der vergangenen Tage drei unterirdisch angelegte Krankenhäuser, zwei Zentren der Helfergruppe der Weißhelme und Krankenwagen zerstört.

Große Teile von Idlib werden von der radikal-islamischen Miliz HTS beherrscht, die eine Kapitulation ablehnt und bis zum bitteren Ende gegen Assad kämpfen will. Russland wirft den Rebellen vor, sie bereiteten den Einsatz von Chemiewaffen vor, um die Verantwortung dem syrischen Regime in die Schuhe zu schieben und eine Intervention des Westens zu provozieren. Laut US-Angaben gibt es dagegen Hinweise auf einen geplanten C-Waffen-Einsatz durch die Assad-Regierung.

Türkei warnt

Auch die Türkei könnte in den Konflikt hineingezogen werden. Bei dem erwarteten Feldzug in Idlib kommt dem Grenzübergang Bab al-Hawa gegenüber der türkischen Stadt Reyhanli große Bedeutung zu. Über Bab al-Hawa kommen viele Hilfsgüter zur Versorgung der Bevölkerung nach Idlib.

Der türkische Staatspräsident, Recep Tayyip Erdogan, sagte nach dem gescheiterten Gipfel mit den Präsidenten von Russland und Iran, Wladimir Putin und Hasan Rohani, Ankara werde einem Massaker an Zehntausenden Zivilisten nicht untätig zuschauen. Gespräche mit Assad lehnte Erdogan ab.

Im Rahmen einer früheren Vereinbarung mit Russland und dem Iran hat die Türkei rund 1000 Soldaten in Idlib stationiert, die in dem Gebiet zwölf Beobachtungsposten bemannen. Medienberichten zufolge suchen Bewohner von Idlib in der Nähe dieser Posten Schutz. Einige der Rebellengruppen in Idlib hoffen auf militärische Rückendeckung durch die Türkei, wenn der erwartete Vorstoß der syrischen Regierungstruppen beginnt.

Mehrere Beobachter in Syrien meldeten zudem, viele Zivilisten in Idlib hätten sich auf den Weg zur türkischen Grenze gemacht, um den Gefechten zu entgehen. Die UNO hat Ankara aufgerufen, im Ernstfall die Grenztore für die Flüchtlinge zu öffnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2018)

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