Burgtheater: Mephisto auf dem teuflischen Förderband

Ein Quartett tanzt in Klaus Manns „Mephisto“ auf dem Vulkan (von links): Sabine Haupt, Fabian Krüger, Nicholas Ofczarek und Dörte Lyssewski.
Ein Quartett tanzt in Klaus Manns „Mephisto“ auf dem Vulkan (von links): Sabine Haupt, Fabian Krüger, Nicholas Ofczarek und Dörte Lyssewski. APA/HERBERT P. OCZERET
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Bastian Kraft hat Klaus Manns Roman über eine Künstlerkarriere in der Nazizeit dramatisiert. Die Premiere verlor am Ende etwas an Schwung. Alles in allem aber erlebte man tolles Schauspielertheater in raffiniertem Bühnenbild.

Zögernd tritt ein schlanker Mann in hellem Anzug an die Rampe, nähert sich einem Tisch am Rand, darauf steht eine alte Schreibmaschine. Die übrige Bühne ist noch recht dunkel, man erahnt ein Förderband, das von ganz hinten nach vorn führt, es hat beinahe die Ausmaße einer Autobahn. Dort wird es steil bergauf gehen mit einem bulligen Schauspieler, der seine Karriere an den Aufstieg der Nazis anpasst. Der schlanke Mann aber wird bald auf der Flucht sein. Er heißt Sebastian Bruckner und wird von Fabian Krüger filigran interpretiert. Dieser spannt ein Blatt ein und beginnt zu tippen: „Mephisto“ leuchtet auf einer Videoleinwand in großen Lettern auf. Das teuflische Spiel mit der Macht kann beginnen.

Martin Vischer (Hans Miklas), Sylvie Rohrer (Dora Martin), Dörte Lyssewski (Barbara Bruckner) und Fabian Krüger (Sebastian Bruckner)
Martin Vischer (Hans Miklas), Sylvie Rohrer (Dora Martin), Dörte Lyssewski (Barbara Bruckner) und Fabian Krüger (Sebastian Bruckner)(c) APA (HERBERT P. OCZERET)

Dieser Erzähler steht für Klaus Mann, der „Mephisto. Roman einer Karriere“ 1936 im Exil veröffentlicht hat. Im Mittelpunkt des Buches: der Schauspieler Hendrik Höfgen. Gustaf Gründgens ist gemeint, dessen berühmteste Rolle der Mephisto in Goethes „Faust“ war. Nicholas Ofczarek spielt ihn mit gewaltiger Intensität. Er imitiert nicht Gründgens, sondern lässt grollend, metallisch intonierend und natürlich auch sensibel – wenn es denn sein muss – den Burg-Star raus, den das Publikum liebt. Vor allem das Zusammenspiel mit Krüger wird zur raffinierten Auseinandersetzung darüber, wie man sich in finsteren Zeiten verhalten kann. Sebastian, im Buch kaum präsent, entwickelt sich hier zu Hendriks Gewissen. Zwischen den ehemaligen Freunden tobt ebenfalls ein Machtkampf. Um Ruhm. Ein wenig suchen sie auch noch immer Eros – oder bloß Nähe? Ofczarek und der ebenbürtige Krüger schenken sich nichts im bösen Spiel.

Die 1920er-Jahre: Sex und Drogen

Wie kommt es zur Begegnung der Romanfiguren auf der Bühne? Sie sind hier noch nicht berühmt. Höfgen will ein Drama von Bruckner spielen. Der Schauspieler müht sich mit dem Telefon in der Hand das Band entlang, der Autor sieht diesen Moment des Kennenlernens in der Erinnerung – schon ist man zusammen. (Gründgens war in den wilden 1920er-Jahren mit Erika Mann verheiratet, als er noch auf einer Provinzbühne stand, Erika heißt im Buch Barbara und wird an der Burg mit brillanter Schärfe von Dörte Lyssewski gespielt). Konventionen waren in diesem Milieu out, befreite Sexualität war in. Man schätzte Bewusstseinserweiterung durch Drogen. Höfgen, die Geschwister Bruckner und die Schauspielerin Nicoletta von Niebuhr (Sabine Haupt spielt sie gekonnt als berechnende Person) tanzen auf dem Vulkan. Party! Als 1933 Hitler in Deutschland an die Macht kommt, ist den Geschwistern bald klar, was dies bedeutet.

Höfgen aber legt seine auch aus Eitelkeit gehegten Sympathien für den Klassenkampf ab und arrangiert sich mit den neuen Herrschenden. Eben erst hatte er einen Nazi im Ensemble (Martin Vischer) umstandslos entfernen lassen. Bald hat auch sein Vorgänger an der Spitze des Staatstheaters in Berlin keine Chance gegen ihn (Bernd Birkhahn als Paradepreuße, er spielt differenziert zwei weitere berühmte Direktoren). NS-Grande Göring (der Ministerpräsident) und dessen Schauspieler-Gattin werden Höfgens Förderer: Martin Reinke in Uniform und Petra Morzé als überspannte Mimin liefern Kabinettstücke an Perfidie, Farce und Falschheit.

Sylvie Rohrer (Dora Martin) und Nicholas Ofczarek (Hendrik Höfgen)
Sylvie Rohrer (Dora Martin) und Nicholas Ofczarek (Hendrik Höfgen)(c) APA (HERBERT P. OCZERET)

Abgekämpft wirkt Bruckner am Ende. Höfgen aber, der sich seine Elastizität damit schönredet, dass er einen Kommunisten (Peter Knaack), einen Juden (Hans Dieter Knebel) und einen homosexuellen Gespielen (Simon Jensen) vorm Untergang retten will, mutiert total. Die weiße Maske mit den markant steilen Augenbrauen (die Gründgens als Teufel auszeichnete) wird zur Fratze eines traurig-bösen Clowns, zur Puppe gar. Ofczarek malt sich die Lippen üppig rot. Jeder, den er küsst, wird beschmutzt. Immer schwerer fällt es ihm, auf dem steiler werdenden Band hochzukommen. Er muss jedoch stets weiter, sonst fiele er ins Bodenlose.

Ein Schlagzeug gibt das Tempo vor

Diese von Peter Bauer konstruierte Maschine sowie vier turmartige Videoflächen ergeben ein phänomenales Bühnenbild. Gnadenlos wird Ofczareks Gesicht – oder auch das von Morzé – in Großaufnahme auf die Screens projiziert. Am Ende mutieren die beweglichen Flächen zu Spiegeln. Nun sieht sich das Publikum im Burgtheater nach Berlin versetzt, ins Preußische Staatstheater, wo der dicke Ministerpräsident/Göring vorführt, wer hier die dämonische Show führt.

Fast dreieinhalb Stunden dauerte am Dienstag die Premiere an der Burg in der vergleichsweise platten Textfassung Bastian Krafts. Der längere Teil vor der Pause ist mitreißend, die Schlagzeugerin Judith Schwarz gibt das Tempo vor. Aber auch der tollste Beat kann ermüden. Am Ende hat sich die Inszenierung in den Tiefen des Romans verzettelt. Das Bemühen um Symbole nimmt zu (rote Fahne, marschierende Hitlerjugend, mit eckigen Bewegungen angedeutete Hakenkreuze, mehr Bewegung bei den Screens und mehr Close-ups), die Spannung lässt vielleicht gerade wegen all der Ablenkung etwas nach.

Das Ensemble jedoch leistet Großartiges. Ein Solitär ist etwa auch Sylvie Rohrer. Sie spielt die jüdische Schauspielerin Dora Martin, die im Roman den jungen Höfgen bei seiner Karriere unterstützte und bald ins Exil ging. Rohrer singt dunkelgraue Lieder, in ihnen wird der ganze Schrecken offenbar. Ihr letztes, grauenhaftes Gedicht gestaltet sie als Bewusstseinsspaltung. Erst glaubt man die markante Stimme der großen Elisabeth Bergner zu hören. Doch dann verwandelt sie sich blitzartig in einen anderen. Ein Unmensch gibt nun den Ton an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2018)

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