Türkische Notenbank erhöht Leitzins auf 24 Prozent

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Die türkische Notenbank in der Zwickmühle: Präsident Erdogan forderte eine Zinsenkung. Die Währungshüter widerstanden dem Druck, der Leitzins wird kräftig angehoben, die Lira legt einen Kurssprung hin.

Die türkische Notenbank hat die Zinsen deutlich erhöht und dem Schwellenland damit Luft in der Währungskrise verschafft. Sie hob den Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld am Donnerstag von 17,75 auf 24 Prozent an. Ökonomen hatten lediglich mit 22,00 Prozent gerechnet. Mit der kräftigen Straffung steuert die Zentralbank aber auf einen handfesten Konflikt mit dem mächtigen Staatschef Recep Tayyip Erdogan zu. Dieser hatte die Arbeit der Währungshüter nur wenige Stunden vor dem Entscheid in Bausch und Bogen kritisiert und eine Zinssenkung gefordert.

Zweifel an der Unabhängigkeit der Notenbank hatten mit dazu beigetragen, dass die Landeswährung Lira seit Jahresbeginn mehr als 40 Prozent an Wert verloren hat. Nach dem Zinsentscheid wertete sie deutlich auf: Der Dollar fiel im Gegenzug um mehr als fünf Prozent auf 5,98 Lira. Der Istanbuler Aktienindex legte 1,6 Prozent zu.

"Die türkische Notenbank schafft klare Fakten und gewinnt Vertrauen zurück", sagte Ökonom Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank. Die Sitzung galt als Nagelprobe für die Entschlossenheit der Währungshüter, gegen die ausufernde Inflation im Land anzukämpfen. Die Kursgewinne der Lira seien der Beleg für zurückgewonnenes Vertrauen. "Das Urteil lautet deshalb: Gut gemacht, so funktioniert Krisenpolitik."

Die Notenbank begründete ihren Schritt damit, dass es "erhebliche Risiken" für die Preisstabilität gebe. Erdogan hatte den Währungshütern kurz zuvor vorgeworfen, die Wechselwirkung von Zinsen und Inflation zu verkennen. "Wer sagt: Inflation ist die Ursache und Zinsen das Ergebnis, der kennt sich nicht aus in diesem Geschäft." Zugleich stellte er der Notenbank ein schlechtes Zeugnis aus, da die steigenden Preise im Land eine Folge falscher Schritte der Zentralbank seien. Die Währungshüter seien jedoch unabhängig und träfen ihre Entscheidungen in eigener Regie.

Der Kurssprung der Lira half teilweise auch anderen Schwellenländer-Währungen, die in den vergangenen Wochen wegen der Lira-Krise von Anlegern mit abgestraft wurden. Der südafrikanische Rand und der russische Rubel legten am deutlichsten zu.

"Türken stehlen EZB die Show"

Die türkische Zentralbank   widersteht dem Druck von Präsident Erdogan. Erste Einschätzungen von Börsianern dazu:

PHOENIX KALEN, SOCIETE GENERALE

"Der Markt ist einerseits zufrieden mit dieser Zinserhöhung, andererseits ziemlich durcheinander. Es sieht ganz danach aus, als ob es ein 'Good Cop, Bad Cop'-Spiel der türkischen Behörden gibt. Präsident Erdogan sagt auf der einen Seite, er mag keine Zinsen. Auf der anderen Seite hebt die Zentralbank dann die Zinsen sehr deutlich an."

INAN DEMIR, NOMURA

"Ich bin überrascht, wie auch die Märkte (...) Meiner Meinung nach war das für den Moment ausreichend, aber natürlich werden wir die Entwicklung der Inflation in den kommenden Monaten verfolgen. Es ist wahrscheinlich, dass sich der Preisauftrieb weiter beschleunigt und dass vielleicht weitere Zinsanhebungen vonnöten sein könnten."

ULRICH WORTBERG, HELABA

"Die türkische Zentralbank hat überraschend deutlich die Zinsen erhöht. Die Skepsis war groß, dass nicht viel passieren würde - vor allem, nachdem Staatschef Erdogan vor der Sitzung niedrigere Zinsen gefordert hat. Insofern hat die Zentralbank heute zumindest ihre Unabhängigkeit demonstriert. Ob dies aber der Befreiungsschlag für die Lira ist, bleibt abzuwarten. Schließlich hat die Zentralbank weiterhin das Problem, dass das Wachstum schwach ist."

BASTIAN HEPPERLE, BANKHAUS LAMPE

"Die türkische Notenbank hat auf die hohe Inflationsrate und den Lira-Verfall zwar etwas beherzter reagiert. Das Vertrauen dürfte dies aber nicht stärken. Die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik bleibt beschädigt, solange die Notenbank von Staatspräsident Erdogan gegängelt wird. Das Vertrauen von Investoren dürfte weiter gestört bleiben, die Lira-Krise ist nicht vorüber."

THOMAS GITZEL, VP BANK

"Soviel Aufmerksamkeit wurde der türkischen Notenbank noch selten zuteil. Die türkische Notenbank stiehlt der EZB heute die Show. Die Schockwellen, die jüngst durch die Finanzmärkte liefen, wurden maßgeblich von der Türkei ausgelöst, insofern ist die heutige Aufmerksamkeit durchaus gerechtfertigt. Die deutlichen Kursverluste der Lira und das Stillhalten der türkischen Notenbank verunsicherten die Finanzmärkte. Die Unabhängigkeit der türkischen Währungshüter wurden angezweifelt. Die deutliche Zinserhöhung schafft nun wieder Vertrauen. Die Kursgewinne der Lira legen bestens Zeugnis hierfür ab. Das Urteil lautet deshalb: Gut gemacht, so funktioniert Krisenpolitik. Den anziehenden Inflationsraten wird nicht tatenlos zugesehen."

SÖREN HETTLER, DZ BANK

"Die Reaktion des Marktes ist erst einmal positiv, das sieht man klar an dem Sprung der Lira. Die Zinserhöhung fällt stärker aus, als man im Vorfeld erwartet hat. Aber es ist auch offensichtlich, dass die Probleme der Türkei nicht nur auf die Zentralbank zurückzuführen sind. Die Auslandsverschuldung ist zu hoch, die Wirtschaft entwickelt sich schleppend. Die Zentralbank hat einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, sie muss aber meines Erachtens weitere Schritte unternehmen, um das Vertrauen der Investoren in die Türkei wieder herzustellen."

Erdogans Kampf gegen die Notenbank

Viele Investoren hatten den Verdacht gehegt, dass Erdogan eine kräftige Zinserhöhung, mit der der Lira-Verfall gestoppt werden soll, verhindern könnte. Auch weil die Notenbank Vertrauen von internationalen Anlegern verspielt hat, ist das Land in eine Währungskrise geschlittert. Es folgt ein Überblick, wie die Zentralbank dieses Jahr agiert hat und wie Erdogan dazu steht:

06. Mai: Erdogan verspricht, nach der Präsidentenwahl im Juni für niedrigere Zinsen und weniger Inflation zu sorgen.

23. Mai: Die Notenbank stemmt sich zunächst mit einer kräftigen Zinsanhebung gegen den Kursverfall der Landeswährung. Sie hebt den Schlüsselsatz von 13,5 auf 16,5 Prozent an.

07. Juni: Die Währungshüter legen nach: Der Zins steigt um 1,25 Punkte auf 17,75 Prozent.

07. Juli: Erdogan sagt den hohen Zinsen und der Inflation den Kampf an: "Wir werden unser Land weiter voranbringen, wenn wir diese strukturellen Probleme unserer Wirtschaft lösen."

24. Juli: Die Notenbank überrascht die Finanzmärkte auf dem falschen Fuß und lässt die Leitzinsen unverändert - trotz einer Inflation von 15,4 Prozent. Die Lira und der Istanbuler Leitindex stürzen ab.

05. September: Erdogan setzt auf ein Abebben der ausufernden Inflation. "Sie wird auf einstellige Werte fallen. Wir werden das wegstecken." Die Verbraucherpreise waren im August um 17,9 Prozent gestiegen - der höchste Wert seit Ende 2003.

13. September: Erdogan verurteilt die Arbeit der Notenbank mit deutlichen Worten und fordert eine Zinssenkung. Nur wenig später erhöhen die Währungshüter den Schlüsselsatz auf 24 Prozent und damit stärker als von Investoren erwartet.

Großbritannien bleibt bei 0,75 Prozent

Die britische Notenbank hat ihren Leitzins trotz der hohen Inflation nicht angetastet. Die Londoner Pfund-Wächter beschlossen am Donnerstag, den Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld bei 0,75 Prozent zu belassen. Die Entscheidung fiel einstimmig. Die Währungshüter hatten den Satz Anfang August auf dieses Niveau angehoben - das höchste seit fast einem Jahrzehnt. Die Bank von England kämpft gegen die im Sog der Brexit-Entscheidung von 2016 steigenden Verbraucherpreise. Diese hatten im Juli um 2,5 Prozent zum Vorjahr anzogen. Die Inflation liegt bereits seit Monaten über der Zielmarke der Notenbank von zwei Prozent.

Für den Preisauftrieb auf der Insel sorgt insbesondere der Kursverlust des Pfund. Dadurch verteuern sich die Importe, was die Kaufkraft der Verbraucher schmälert. Großbritannien will die Europäische Union Ende März 2019 verlassen. Immer noch ist nicht klar, wie die wirtschaftlichen Beziehungen zur EU künftig aussehen werden. Am Dienstag wurde bekannt, dass Notenbank-Chef Mark Carney wegen des bevorstehenden EU-Austritts noch bis Ende Januar 2020 und damit sieben Monate länger im Amt bleibt. Inmitten der stockenden Brexit-Verhandlungen hätte sich die Suche nach einem Nachfolger schwierig gestalten können.

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