EZB lässt Leitzins bei 0,0 Prozent und stoppt die Geldflut

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Die türkische Notenbank hat mit ihrer Leitzinsanhebung auf 24 Prozent der EZB die Show gestohlen. Die Hüter des Euro tasten den historisch tiefen Leitzins nicht an. Immerhin stoppen sie die umstrittenen Anleihenkäufe.

Der Anti-Krisen-Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) neigt sich langsam dem Ende zu. Wie im Juni in Aussicht gestellt, halbiert die Notenbank das Volumen ihrer monatlichen Anleihenkäufe ab diesem Oktober auf 15 Milliarden Euro. Ein Ende des - vor allem in Deutschland - umstrittenen Programms zum Kauf von Staats- und Unternehmenspapieren peilen die Währungshüter unverändert zum Jahresende 2018 an.

Die Entscheidungen des EZB-Rats vom Donnerstag in Frankfurt zementieren aber zugleich ein Andauern der Phase extrem niedriger Zinsen: Der Leitzins im Euroraum bleibt auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent, zudem müssen Geschäftsbanken weiterhin 0,4 Prozent Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken.

Eine Wende hin zu höheren Zinsen wollen die Währungshüter frühestens im Herbst 2019 einläuten. Der EZB-Rat bekräftigte seine Einschätzung, dass die Zinsen bis "mindestens über den Sommer 2019" auf dem aktuellen Niveau bleiben werden.

Volkswirte rechnen damit, dass die EZB dann zunächst die Strafzinsen für Kreditinstitute verringern wird. Sparer dürften auf eine erste Zinserhöhung noch länger warten müssen. Andererseits profitieren Kreditnehmer somit weiterhin von relativ guten Konditionen.

An den Anleihenmärkten wird die EZB auch dann noch ein gewichtiger Marktteilnehmer bleiben, wenn sie keine neuen Papiere mehr erwirbt: Gelder aus auslaufenden Anleihen will sie wieder investieren. Seit Beginn des Programms im März 2015 bis Ende August 2018 hat die EZB Wertpapiere im Gesamtwert von gut 2,5 Billionen Euro gekauft. Ziel ist, auf diesem Weg der Konjunktur in den 19 Euroländern auf die Sprünge zu helfen und zugleich die Teuerung anzuheizen.

Im August lagen die Verbraucherpreise im Euroraum nach Zahlen des Statistikamtes Eurostat um 2,0 Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Mittelfristig strebt die EZB Preisstabilität bei einer Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent an. Das ist weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise könnten Unternehmen und Verbraucher dazu bringen, Investitionen aufzuschieben - das könnte die Konjunktur abwürgen.

Seit dem Frühjahr wird dieses Inflationsziel wieder erreicht, nachdem es jahrelang verfehlt worden war. Die jüngste Entwicklung ist ein Grund mehr für die EZB, ihre Geldpolitik nach Jahren im Krisenmodus allmählich zu normalisieren - ungeachtet von Handelskonflikten, die die Risiken für die Weltwirtschaft wieder zunehmen lassen.

Ungewiss bleibt, ob EZB-Präsident Mario Draghi zum Ende seiner achtjährigen Amtszeit im Herbst 2019 noch die erste Zinserhöhung in Kraft setzen wird oder das seinem Nachfolger überlässt. Die Chancen, dass Bundesbank-Präsident Jens Weidmann als erster Deutscher auf dem EZB-Chefsessel Platz nehmen wird, scheinen sich angesichts des politischen Postenpokers in Europa verschlechtert zu haben.

Die Entscheidungen der EZB waren an den Finanzmärkten erwartet worden. Für die Überraschung des Tages hatte zuvor die türkischen Notenbank gesorgt, die entgegen den Forderungen von Präsident Erdogan den Leitzins auf 24 Prozent erhöht hatte. "Soviel Aufmerksamkeit wurde der türkischen Notenbank noch selten zuteil. Die türkische Notenbank stiehlt der EZB heute die Show. Die Schockwellen, die jüngst durch die Finanzmärkte liefen, wurden maßgeblich von der Türkei ausgelöst, insofern ist die heutige Aufmerksamkeit durchaus gerechtfertigt", meinte etwa Thomas Gitzel von der VP Bank.

"Feinste Salamitaktik"

Ökonomen und Wirtschaftsvertreter sagten zu den EZB-Entscheigungen in ersten Reaktionen:

ALEXANDER KRÜGER, CHEFÖKONOM BANKHAUS LAMPE:

"Die EZB betreibt feinste Salami-Taktik. Sie dreht ihren Expansionsgrad nur scheibchenweise zurück. Ein geringeres monatliches Kauftempo ab Oktober hat sie heute formal zwar beschlossen, das Ende ihrer Wertpapierkäufe aber nicht. Dies dürfte nun auf der nächsten Sitzung benannt und das Reinvestitionsmuster ab 2019 auf der Sitzung im Dezember vorgestellt werden. Der Leitzinsausblick wird sich erst 2019 langsam aufhellen."

UWE BURKERT, LBBW-CHEFÖKONOM:

"Draghis Statement ist ziemlich überraschungsfrei. Das meiste kennt man ja noch vom letzten Mal. Dass die EZB die Projektion für das BIP 2018 und 2019 um 0,1 Prozentpunkte gesenkt hat, ist nachvollziehbar. Die Forward Guidance lässt der EZB alle Optionen. Und über die Wiederanlage der Fälligkeiten weiß man jetzt auch nicht mehr. Spätestens am 13. Dezember wird die EZB hier liefern müssen. Besser wäre aber, schon auf der kommenden Sitzung die Märkte vorzubereiten. Sobald das geklärt ist, wird man sich wieder der Frage zuwenden, wann denn nun endlich der erste Zinsschritt ansteht. Unser Tipp: Nicht vor Mitte des kommenden Jahres."

ANDREAS BLEY, BVR-CHEFVOLKSWIRT:

"Dass die EZB ihren Ausstiegskurs bestätigt, ist eine gute Nachricht. Was viele den Frankfurter Währungshütern lange nicht zugetraut hatten, wird nun an den Finanzmärkten fast geräuschlos zur Kenntnis genommen. Wichtig ist nun, dass die Zinswende auf jeden Fall spätestens im Herbst 2019 in Angriff genommen wird und sich die EZB damit möglichst bald von der Negativzinspolitik verabschiedet. Die Geldpolitik läuft bereits jetzt der guten Konjunktur und den höheren Inflationsraten hinterher."

CHRISTIAN OSSIG, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER DES BANKENVERBANDES:

"Die Europäische Zentralbank verlässt den geldpolitischen Krisenmodus nur im Schleichtempo. Ein vorbehaltloses Enddatum für das Aufkaufprogramm wäre überfällig gewesen. Vor allem aber schiebt die Europäische Zentralbank das Thema 'Ende der Negativzinsen' weiter auf die lange Bank. Dabei ist auch diese geldpolitische Krisenmaßnahme schon längst nicht mehr erforderlich. Beim Bestreben, die Bankbilanzen zu stärken, sind die negativen Zinsen sogar schädlich. Nur zur Erinnerung: In den USA, wo die Banken schon seit längerem solide Erträge erzielen, hat es in keiner Phase der Krisenbekämpfung negative Leitzinsen gegeben.

Auch in Europa ist die Zeit jetzt reif, die Phase der Negativzinsen endlich zu beenden. Wenn die EZB überzeugend kommuniziert, dass das Ende der Minuszinsen zum Ausstieg aus dem geldpolitischen Krisenmodus gehört, sollten die Kapitalmarktzinsen nur moderat reagieren. Erst recht, wenn man die weiterhin vergleichsweise moderaten Inflationsperspektiven bedenkt."

FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW-INSTITUT:

"Die EZB hat sich durch zu viele Vorfestlegungen ihren Spielraum in unnötiger Weise selber verbaut. Eine erste Zinserhöhung nicht vor September 2019 und ein voller Nachkauf fälliger Wertpapiere auf unbestimmte Zeit - all das verdammt die EZB bis zum Ende der Amtszeit von Mario Draghi zur weitgehenden geldpolitischen Passivität. Der EZB-Präsident wird seinem Nachfolger ein schweres Erbe hinterlassen: Der oder die Neue wird mit Amtsantritt im November 2019 im Fall eines Abschwungs bei der konventionellen Geldpolitik über keinerlei Handlungsspielraum verfügen. Außerdem übernimmt er oder sie Verantwortung für eine Zentralbank, die der mit Abstand wichtigste Gläubiger hoch verschuldeter Euro-Staaten geworden ist. Aber noch hat Mario Draghi ein volles Amtsjahr vor sich und könnte dem Nachfolger helfen, indem er den Märkten mutigere Exit-Perspektiven aufzeigt." 

(APA/dpa/Reuters)

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