Für die SPD war das Maß voll

Um Hans-Georg Maaßen ist es einsam geworden. SPD, Linke und Grüne forderten seinen Rücktritt.
Um Hans-Georg Maaßen ist es einsam geworden. SPD, Linke und Grüne forderten seinen Rücktritt. (c) imago/Christian Mang (Christian Mang)
  • Drucken

Verfassungsschutz-Chef Maaßen löst Koalitionskrise aus. Rückendeckung durch Seehofer, doch SPD forderte Rücktritt.

Wien/Berlin. War das Maß nun voll? In einer eilends einberufenen Krisensitzung berieten die Berliner Koalitionsspitzen von CDU, CSU und SPD im Kanzleramt über die Zukunft von Hans-Georg Maaßen, dem umstrittenen Chef des Verfassungsschutzes. Die SPD hatte die Causa Maaßen zum Koalitionsfall gemacht: Reihenweise forderten SPD-Politiker den Rücktritt des obersten Spions Deutschlands – von Juso-Chef Kevin Kühnert über die Ministerpräsidenten Malu Dreyer und Stephan Weil bis zu Generalsekretär Lars Klingbeil. „Wir erleben keinen läppischen Koalitionskrach, sondern einen schwerwiegenden Tabubruch“, sagte Kühnert, der Wortführer der sozialdemokratischen Koalitionsgegner. „Wir sind an einem Punkt, an dem wir eine rote Linie ziehen sollten.“

Die SPD-Parlamentarier waren nach einer hochemotionalen Haushaltsdebatte im Bundestag, in dem Ex-SPD-Chef Martin Schulz mit einer Brandrede gegen die rechtspopulistische AfD stehende Ovationen erhalten hatte, aufgeputscht. Quer durchs politische Spektrum eint die Forderung nach einem Rücktritt des Verfassungsschutz-Chefs SPD, Grüne, Linke und auch manche in der FDP. Die Koalition vertagte die Entscheidung zunächst aber auf Dienstag.

Im Innenausschuss des Bundestags hatte Maaßen zuvor manches zurechtgerückt und ein „Mea culpa“ eingestanden wegen der breiten Publicity seines Interviews in der „Bild“-Zeitung über die Ereignisse in Chemnitz – aber vor allem der Form halber, weniger wegen des Inhalts. Der Vorwurf, er habe den Bericht des Verfassungsschutzes vor der Veröffentlichung der AfD zugespielt und zudem die Partei beraten, wie sie eine Beobachtung durch sein Amt vermeiden könne, wog indessen schwer. Angeblich sei er der Partei „wohlgesonnen“, erzählte die frühere AfD-Chefin Frauke Petry.

Belastetes Verhältnis zur Kanzlerin

Die SPD brachte Kanzlerin Merkel unter Zugzwang und stürzte sie zugleich in ein Dilemma. Denn Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer hatte Maaßen zuvor sein Vertrauen ausgesprochen. Umfassend und überzeugend nannt der Minister dessen Aussage im Parlamentsausschuss. Grünen-Chef Robert Habeck hatte die Ausgangslage so skizziert: „Sollte Seehofer Maaßen nicht entlassen, müsste Seehofer entlassen werden.“

Würde Merkel nach der massiven Koalitionskrise in der Migrationspolitik zu Sommerbeginn neuerlich einen Machtkampf mit dem Vorsitzenden der Schwesterpartei riskieren? Oder würde sie die Personalie aufschieben bis nach den Landtagswahlen in Bayern in einem Monat, die nach einer etwaigen Wahlschlappe womöglich einen Führungswechsel sowohl in der CSU als auch im Innenministerium nach sich ziehen würden?

Merkel selbst verspürte indessen keine sonderliche Neigung, Maaßen die Treue zu halten. Der 55-jährige Karrierejurist aus Mönchengladbach, der 2012 nach dem Desaster des Geheimdiensts in der NSU-Affäre ins Amt gekommen war, hatte der Kanzlerin in der Darstellung der Ereignisse in Chemnitz in einem entscheidenden Punkt widersprochen. Auf eine für einen Geheimdienstmann ungewöhnliche Weise, im auflagenstärksten Blatt des Landes, wandte er sich gegen die Bezeichnung „Hetzjagd“ und zweifelte darüber hinaus ein Video über den Mob in der sächsischen Stadt an. In der Folge entbrannte ein Streit um die Deutungshoheit der Vorfälle. Maaßen hatte das „Bild“-Interview in Rücksprache mit Seehofer gegeben, in einem Bericht an den Minister stellte er übers Wochenende seine Sicht dar.

In Hintergrundgesprächen mit Journalisten hatte Maaßen gemeinsam mit Bundespolizeichef Dieter Romann, einem Freund, zudem scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik Merkels geübt. Im Bundesamt für Verfassungsschutz firmiert Maaßen, der ein Faible für die britische Komikertruppe Monty Python hat, als „Dr. M.“ oder schlicht als „P.“ – für Präsident. Schon SPD-Innenminister Otto Schily hat den konservativen Juristen indes wegen seiner Expertise geschätzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ralph Brinkhaus setzte sich am Dienstag völlig überraschend bei der Wahl des Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU im Bundestag durch.
Außenpolitik

Merkels Stütze im Bundestag bricht

Zwei Regierungskrisen, eine öffentliche Entschuldigung – und jetzt auch noch das: Der enge Vertraute der Kanzlerin, Unionsfraktionsvorsitzender Kauder, wird überraschend abgewählt.
Kommentare

Indirektes Misstrauensvotum gegen Kanzlerin

Abwahl des CDU-Fraktionschefs Kauder ist Symbol für Merkels Autoritätsverlust.
Ein Jahr nach der Bundestagswahl – und noch immer ist die Große Koalition nicht im Arbeitsmodus.
Außenpolitik

Deutschland: Der Tag, als Angela Merkel ihre Wähler um Entschuldigung bat

CDU und SPD gestehen Fehler der Koalition ein. Zum Regieren gehören aber in Berlin noch immer drei.
Künftig soll alles besser werden, erhoffen sich die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD.
Außenpolitik

Union und SPD suchen neuen "Arbeitsmodus"

Nach der mühsam erreichten Lösung im Fall Maaßen, berichtet CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer von Unverständnis der Partei-Basis. Die SPD befürchtet einen Vertrauensverlust der Wähler.
Angela Merkel rechtfertige die zweite Verhandlungsrunde zur Personalie Maaßen.
Außenpolitik

Deutschland: Merkel gesteht Fehler im Fall Maaßen ein

Das erste Lösung für Verfassungsschutz-Chef Maaßen samt Beförderung habe "nicht überzeugt", so die deutsche Kanzlerin. In der SPD muss Chefin Andrea Nahles den jüngsten Deal verteidigen. Die Große Koalition kommt nicht in Fahrt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.