Bischöfe unter Druck

Nicht alle Missbrauchsprobleme kann die Kirche lösen. Aber sie hätte schon noch Möglichkeiten, und zwar ganz praktische. Etwa mit einem zeitgemäßen Disziplinarrecht.

Dietmar Neuwirth hat hier vergangene Woche über den Missbrauch geschrieben. Verzeihen Sie mir, dass ich Ihnen diese Woche eine Fortsetzung zumute. Eine Ergänzung sozusagen aus der Innenperspektive eines katholischen Pressesprechers, der ich seit sieben Jahren bin.

Missbrauch ist ja ein verbreitetes Verbrechen. In Österreich gibt es laut der Initiative „Finger weg“ rund 10.000 Opfer von Kindesmissbrauch und bis zu 800 Anzeigen pro Jahr. Aber oft wollen die Betroffenen keine Anzeige erstatten. Und oft gibt es keine restlose Klarheit, ob die Vorwürfe stimmen. Viele Fälle bleiben im weiten Spektrum zwischen offensichtlicher Verleumdung und eindeutiger Schuld. Dann kommt man – nicht nur als Kirche, sondern auch als Schule, Heimträger, Sportverein usw. – in letztlich unlösbare Konflikte. Heute folgen die Diözesen, die ich kenne, der Devise: Im Zweifelsfall glauben wir dem Vorwurf und ziehen Konsequenzen, die den Beschuldigten treffen und dem Opfer helfen. Aber die Öffentlichkeit sieht auch das als Vertuschung, wenn es ihr nicht mitgeteilt wird. Obwohl man gar nicht viel mitteilen darf, weil das staatliche Gesetz den guten Ruf aller schützt, die nicht gerichtlich verurteilt wurden.

Diese Konfliktzone wird bleiben, selbst wenn es einmal eine Anzeigenpflicht geben sollte. Die Kirche muss dessen ungeachtet in ihrem System einiges reparieren. Dazu gehört ein modernes Disziplinarrecht für die Diözesen, das auch die Bischöfe entlasten könnte, die heute als Alleinentscheider hin- und hergerissen sind: Als barmherzige Väter ihrer Priesterschaft und als Beichtväter Teil einer Kultur des Vergebens sollen sie ja gleichzeitig hart durchgreifen.

Und dann wäre dringend die Schwachstelle zu sanieren, um die es in der aktuellen Debatte vorrangig geht: das mangelnde Disziplinarrecht für die Bischöfe selber. Wir haben das unerträgliche Patt erlebt, als in Wien die Vorwürfe gegen Kardinal Groer im Raum standen, die der Staat wegen Verjährung nicht klären konnte und Rom irgendwie nicht wollte. Hier systemisch etwas zu ändern, ist nicht leicht, weil die katholische Kirche von ihrem Selbstverständnis her auf den Schultern der Bischöfe ruht, die als Nachfolger der Apostel volle Handlungs- und Entschlussfreiheit in ihren Diözesen haben und nur beschränkt dem Papst unterstehen. Dass diese Stellung der Bischöfe durchaus damit vereinbar ist, sich geregelten, nachvollziehbaren und transparenten Verfahrensabläufen unterzuordnen – diese Erkenntnis muss sich erst überall durchsetzen, auch in den vatikanischen Chefetagen.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2018)

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