Deutschland: Der Fall des Hans-Georg Maaßen

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und sein Chef, CSU-Innenminister Horst Seehofer.
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und sein Chef, CSU-Innenminister Horst Seehofer. (c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Die deutsche Kanzlerin will Berichten zufolge den obersten Verfassungsschützer vor die Tür setzen. Das gefällt der SPD – und bringt CSU-Innenminister Seehofer in die Bredouille.

Berlin/Wien. Angela Merkel war schon zu ihrer Reise nach Algerien aufgebrochen, da schreckte die nächste Eilnachricht die nervöse Bundesrepublik auf: Die deutsche Kanzlerin senkt den Daumen über Hans-Georg Maaßen. Der umstrittene Verfassungsschutzpräsident muss gehen. Weil er sich mit seinen Aussagen zu den rechten Entgleisungen in Chemnitz ins Tagesgeschäft eingemischt habe. Das meldete die Tageszeitung „Die Welt“. Eine Bestätigung gab es nicht. Auch kein lautes Dementi. Offiziell fällt die Entscheidung heute Dienstag. Dann steigt Teil zwei des koalitionären Krisengipfels zu Maaßen. In der Vorwoche hatte man sich vertagt.

Für die SPD wäre Maaßens Rückzug eine gute Nachricht. Der Juniorpartner hatte mit viel Verve auf dessen Abgang gedrängt – und ihn auch prophezeit: „Er wird gehen“, kündigte Andrea Nahles an. Auch ein ehemaliger SPD-Mann, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde ungeduldig: „Ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass dort, wo Entscheidungen gefällt werden müssen, sie bald fallen.“ Für Steinmeier-Verhältnisse war das deutlich.

Es gibt einen Risikofaktor: Horst Seehofer. Den CSU-Chef. Er ist Maaßens Vorgesetzter. Und er hat ihm in der Vorwoche das Vertrauen ausgesprochen. Lässt Merkel den Verfassungsschutzpräsidenten fallen, droht Seehofer ein Gesichtsverlust. Wobei Maaßen auch aus freien Stücken gehen könnte. Oder Seehofer versetzt ihn mit zur Schau getragenem Widerwillen und unter Verweis auf den Koalitionsfrieden in den Ruhestand. Schaltet der CSU-Chef auf stur, könnte Merkel die politische „Atombombe“ zünden.

Die deutsche Kanzlerin hat anders als ihr österreichischer Amtskollege Richtlinienkompetenz. Sie kann Seehofer also um Maaßens Entlassung bitten. Dann würde möglicherweise eintreten, was Maaßen in der Vorwoche ausgeplaudert haben soll: „Horst Seehofer hat mir gesagt, wenn ich falle, dann fällt er auch.“ Es ist zweifelhaft, dass ihn die Bayern und Ministerpräsident Markus Söder dann auffangen. In der CSU rumort es wegen der Umtriebe des Innenministers. Das deutete sich schon auf dem Parteitag an, wo der Applaus für Seehofer verhalten ausfiel. Dabei erschien, fast wie auf Bestellung, ein „Spiegel“-Cover, der Seehofers Konterfei mit dem Titel „Der Gefährder“ zeigte. Derlei Hohn aus dem Norden schweißt in Bayern zusammen. Für gewöhnlich.

Umfrage-Katastrophe

Doch im Umfeld von Söder hält man Seehofer dem Vernehmen nach für den Gefährder eines guten Ergebnisses bei der Bayern-Wahl am 14. Oktober. Eine Umfrage wies die CSU zuletzt bei 35 Prozent aus, eine Katastrophe für eine Partei, die in absoluten Mehrheiten denkt und meist regiert. Das Söder-Lager will daher ein Monat vor der Bayern-Wahl zuallererst eines: Ruhe in Berlin, wo die CDU/CSU-SPD-Koalition von Krise zu Krise stolpert und der eigene Parteichef meist eine tragende Rolle spielt. Seehofer könnte deshalb auf eine Eskalation wegen Maaßen verzichten. Am Wochenende wiederholte er seine Rückendeckung für den Verfassungsschutzpräsidenten nicht, sondern erklärte, an Maaßen werde die Koalition nicht zerbrechen.

Denn der oberste Verfassungsschützer polarisiert. Nicht nur aber auch wegen Chemnitz. Maaßen bezweifelt, dass es dort rechte „Hetzjagden“ gegeben hatte. Damit stellt er sich (wie andere auch) gegen Merkel. Wobei Maaßen noch weiterging: Mit der Autorität des obersten Verfassungsschützers, also des mutmaßlich am besten informierten Deutschen, behauptete er, zu den angeblichen Hetzjagden seien „gezielte Falschinformationen“ in Umlauf gebracht worden. Er zweifelte die Echtheit eines Videos an. Beweise lieferte er nicht.

Es gab auch immer wieder schwere Pannen in seiner Behörde. Im Fall Anis Amri, des Berlin-Attentäters zum Beispiel. Hinzu kommen Maaßens Kontakte zu AfD-Politikern und ein Bericht, wonach seine Behörde Hinweise in rechtsextremen AfD-Strukturen in mehreren Bundesländern lange liegen ließ. Gut möglich, dass ihn die AfD nun zu ihrer Galionsfigur verklärt. „Verfassungsbrecherin entlässt Verfassungsschützer“, ätzte die Partei bereits am Montag.

Vor allem aber ist Maaßens Verhältnis zu Merkel zerrüttet. Schon länger. Vielleicht seit dem Herbst 2015. Maaßen, so heißt es, erzähle jedem, der es hören wolle, dass er von Merkels Flüchtlingspolitik nichts halte. In dieser Hinsicht ähnelt er wohl ein wenig seinem Dienstherrn, Horst Seehofer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2018)

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