Nach heftigem Protest an den Wiener Südtirol-Plänen versucht Kanzler Kurz in Rom zu beschwichtigen. Doch die Irritation bleibt.
Rom/Wien. „Es besteht kein Grund zur Aufregung.“ Sebastian Kurz versuchte während seines Rom-Besuches am Dienstag, die Gemüter wieder zu beruhigen. Denn nur wenige Stunden vor dem Treffen des Bundeskanzlers mit seinem italienischen Amtskollegen Giuseppe Conte war das Thema der doppelten Staatsbürgerschaft für deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler wieder hochgekocht.
Italiens Außenminister Enzo Moavero Milanesi hat aus Protest gegen das Vorgehen Österreichs ein Treffen mit Außenministerin Karin Kneissl abgesagt. Wie die „Presse“ erfuhr, hätte Moavero im Oktober Kneissl in Wien besuchen sollen. Es wäre ihr erstes, offizielles bilaterale Treffen gewesen, die beiden hatten zuvor beim EU-Außenministertreffens in Wien im August kurz miteinander gesprochen.
„Fehlendes Vertrauen“
Das notwendige Klima des „gegenseitigen Vertrauens“ sei aber derzeit nicht vorhanden, betont Moavero nun in einer ungewohnt harten Aussendung. „Ausgerechnet im Jubiläumsjahr, 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg“ – als Südtirol zu Italien kam – würden Österreichs Pläne, „den Charakter eines anachronistischen Revanchismus“ bekommen.
Aus dem Wiener Außenministerium gab man sich gegenüber der „Presse“ zurückhaltend: Es habe bisher nur „Gespräche“ über ein mögliches Treffen im Oktober gegeben, ein Termin sei noch gar nicht fixiert worden, hieß es. Auf die Vorwürfe Moaveros wollte man nicht eingehen. Wie Kneissl bereits öfters betont habe, „soll in der Frage der Doppelstaatsbürgerschaften in Abstimmung mit der Regierung in Rom und nach Gesprächen mit der Südtiroler Landesregierung vorgegangen werden“, sagte ihr Sprecher.
Auch Kurz, der heute in Salzburg als amtierender EU-Ratsvorsitzender Conte empfangen wird, bemühte sich in Rom um Beschwichtigung. „Wir wissen, dass es in Südtirol den starken Wunsch nach einer doppelten Staatsbürgerschaft gibt“, sagte er zwar. Dieser Punkt sei im Regierungsprogramm festgesetzt. „Aber wir werden alle Regelungen, die wir vorbereiten, immer eng mit Italien absprechen.“ Derzeit würden Expertengruppen in Österreich zum Thema doppelte Staatsbürgerschaft zusammensitzen, aber noch gebe es keinen Gesetzesentwurf. Außerdem: Das internationale Abkommen zur Vermeidung von doppelter Staatsbürgerschaft, dem Österreich unterliegt, wurde von Wien noch nicht gekündigt.
Unklar ist, wie ein Gesetzesentwurf überhaupt aussehen könnte, der grünes Licht aus Rom bekommen würde. Conte unterstrich gestern erneut deutlich, dass es von römischer Seite wenig Verhandlungsspielraum gibt: „Die Position Italiens ist klar: wir sind strikt dagegen“, sagte er. Zuvor hatte seine Regierung in Hinblick auf die Wiener Pläne von einem „möglichen feindlichen Akt“ gesprochen.
Wahlkampf mit Kurz in Bozen
Heißes bilaterales Thema sind die geplanten Doppelstaatsbürgerschaften jetzt wohl auch wieder wegen der Südtirol-Wahl im Oktober: Dort machen sich vor allem die Freiheitlichen für österreichischen Pässe stark. Doch auch die amtierende Südtiroler Volkspartei (SVP) will sich im Wahlkampf nicht gegen die Wiener Pläne positionieren. Landeshauptmann und SVP-Chef, Arno Kompatscher, hatte allerdings in den letzten Monaten immer wieder davor gemahnt, „keinen Keil zwischen die Bevölkerungsgruppen zu treiben“.
Am Freitag rührte jedenfalls ÖVP-Chef Sebastian Kurz für die Südtiroler Volkspartei in Bozen die Werbetrommel und lobte das „Modell Südtirol“. Hinsichtlich der doppelten Staatsbürgerschaften sprach er von einem „nachvollziehbaren Wunsch vieler Südtiroler“. In Rom kam das offenbar gar nicht gut an.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2018)