EU-Gipfel: Auf der Suche nach der "Trendwende" in der Migrationspolitik

EU-Gipfel in Salzburg
EU-Gipfel in SalzburgAPA/BARBARA GINDL
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Die Erwartungen vor Beginn des EU-Gipfels waren gering. Mit Spannung erwartet wurde der Auftritt von Christian Kern und die Beratungen in den europäischen Parteigremien.

Die EU-Staats- und Regierungschefs kommen seit Mittwochnachmittag in Salzburg zusammen, um bei einem informellen Treffen über die EU-Migrationspolitik zu beraten. Durchbruch wurde keiner erwartet, da einige Staaten den jüngsten Vorschlägen der EU-Kommission "noch etwas skeptisch" gegenüberstehen, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) der Tageszeitung "Der Standard" sagte.

Manche Staaten hätten "Sorge vor einer besseren Registrierung der Migranten", sagte Kurz in offenkundiger Anspielung auf Mittelmeerstaaten wie Italien, Griechenland und Spanien. "Sie dürften nicht wirklich unglücklich darüber sein, dass viele Ankommende unbemerkt nach Mitteleuropa weiterziehen oder weitergewunken werden." Diese skeptischen Staaten "müssen wir überzeugen", stellte sich der Kanzler hinter den Kommissionsvorschlag zur Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex und zu effektiveren Rückführungen.

Der italienische Innenminister Matteo Salvini sagte, er erwarte sich "wenig" von dem Gipfel in Salzburg. Vielleicht sei aber Premier Giuseppe Conte "besser und effizienter als ich", fügte Salvini hinzu. Er hatte sich erst am Freitag bei einem EU-Afrika-Ministertreffen in Wien ein Verbalgefecht zur Migrationspolitik mit seinem luxemburgischen Amtskollegen Jean Asselborn geliefert. Bei dem Treffen hatte sich der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska skeptisch zu den derzeit diskutierten Frontex-Vorschlägen gezeigt und argumentiert, dass man das Mittelmeer nicht abriegeln könne wie eine Landgrenze. Kritik kam auch aus Ungarn, das befürchtet, dass Frontex-Beamte in nationale Souveränitätsrechte eingreifen könnten.

Kritik an Uneinigkeit

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker äußerte sich im Vorfeld des Gipfels kritisch über das Bild, das die EU-Staaten in Sachen Migrationspolitik abgeben. "Wir kommen in Sachen Regelung der illegalen Migration nicht weiter. Das scheitert nicht am guten Willen oder an den Vorschlägen der Kommission, sondern am beharrlichen Sich-nicht-einigen-Wollen der Mitgliedsstaaten", sagte er im Ö1-Mittagsjournal. Wenn die EU in der Welt ernst genommen werden wolle, dürfe sie nicht "weiterhin auftreten wie ein ungeordneter Hühnerhaufen", monierte er. EU-Gipfelpräsident Donald Tusk schlug am Nachmittag einen Brexit-Sondergipfel für November vor. Die Verhandlungen mit Großbritannien seien nun einer "entscheidenden Phase", sagte er zu Beginn des Gipfels am Mittwoch vor Journalisten.

Noch immer seien "verschiedene Szenarien offen", betonte Tusk. Die Vorschläge, die die britische Premierministerin Theresa May kürzlich gemacht hatte, hätten Fortschritte gebracht und könnten die negativen Auswirkungen eines Brexits reduzieren. Es gebe derzeit "mehr Hoffnung, aber uns läuft die Zeit davon", warnte Tusk. In der Irland-Frage und bei der geplanten künftigen Wirtschaftskooperation "müssen die Vorschläge des Vereinigten Königreichs überarbeitet und weiter verhandelt werden". "Ich möchte die Verhandlungen noch in diesem Herbst abschließen", bekräftigte Tusk.

Ebenso waren getrennte Beratungen der konservativen und sozialdemokratischen Parteiführer vorgesehen, in denen Personalia die Hauptrolle spielten. Mit Spannung wurde etwa der Auftritt von SPÖ-Chef Christian Kern, der als möglicher gemeinsamer Spitzenkandidat der EU-Sozialdemokraten gehandelt wird, bei den sozialdemokratischen Gipfelteilnehmern erwartet. Erster offizieller Programmpunkt des Gipfels sollte ein Abendessen der 28 Staats- und Regierungschefs in der Felsenreitschule sein. Dabei wollten die EU-Chefs auch über den Stand der Brexit-Verhandlungen sprechen, in denen derzeit fieberhaft nach Kompromissformeln für die Streitpunkte Irland und die Teilnahme Londons am EU-Binnenmarkt gesucht wird.

Das Bündnis "Solidarisches Salzburg" hat für den Abend zu einem "Marsch der Verantwortung" in der Mozartstadt aufgerufen, bei dem mit Namensschildern auf jene 30.000 Menschen aufmerksam gemacht werden sollte, die im Mittelmeer ums Leben gekommen sind. "Wenn man heute in Salzburg jemanden vor dem Ertrinken in der Salzach rettet, ist man ein Held. Macht man das Gleiche im Mittelmeer, wird das kriminalisiert", sagte Bündnissprecherin Alina Kugler bei einer Pressekonferenz. Die NEOS wollten mit Plakaten auf Fahrrädern Kritik an der Linie des EU-Ratsvorsitzes üben.

Aufstockung von Frontex

Die Migrationspolitik gilt als inhaltlicher Hauptschwerpunkt des österreichischen EU-Ratsvorsitzes. Dieser will in Salzburg jene "Trendwende" in der Migrationspolitik vorantreiben, zu der es beim EU-Gipfel im Juni gekommen ist. Die EU-Kommission hat in der Vorwoche entsprechende Gesetzesvorschläge vorgestellt, die unter anderem eine Verlängerung der Abschiebehaft, raschere Rückführungen sowie eine Aufstockung der EU-Grenzschutzagentur Frontex auf 10.000 Beamte bis 2020 vorsieht.

Der Dachverband der entwicklungspolitischen Organisationen, AG Globale Verantwortung, forderte in einer Aussendung mehr Engagement zur Bekämpfung der Armut. Nur der Fokus auf Außengrenzschutz oder die Errichtung von Asylzentren werde die Migrationsfrage nicht lösen, formulierten die NGOs mit Blick auf den Salzburg-Gipfel.

"Unmenschliche Idee"

Die Bürgermeister von Lampedusa, Traiskirchen und zwei weiteren von Migration besonders betroffenen Gemeinden riefen die EU-Chefs indes in einer gemeinsamen Erklärung zu einer Solidarität und geteilter Verantwortung aufbauenden Migrationspolitik auf. Sie pochten auf mehr Entwicklungshilfe, legale Einwanderungswege sowie ein Quotensystem zur Flüchtlingsverteilung in der EU. Ein klares Nein kam von ihnen zur "unmenschlichen Idee, Flüchtlingslager außerhalb der EU zu errichten".

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hatte sich am vergangenen Freitag kritisch dazu geäußert, dass die EU-Kommission entgegen dem Gipfelbeschluss vom Juni keinen konkreten Vorschlag für Anlande- und Ausschiffungsplattformen in Nordafrika gemacht hat. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos begründete dies mit ablehnenden Reaktionen in afrikanischen Staaten. Kickl warf dem EU-Kommissar vor, die Flinte ins Korn zu werfen, und brachte seinerseits Asyl-Schnellprüfungen auf Rettungsschiffen ins Spiel.

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