Monet in der Albertina: Sturm der Seerosen

Ein kurzes Innehalten von Madame Monet – dann ist sie weg: Monet malte den Moment 1873.
Ein kurzes Innehalten von Madame Monet – dann ist sie weg: Monet malte den Moment 1873.(c) Cleveland Museum
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Eine geradlinige Ausstellung erzählt Leben und Werk dieses Ur-Impressionisten: vom Verhöhnten zum Staatskünstler zum späten Vorreiter des Abstrakten. Am Ende steht ein nahezu entfesselter Sturm von Strichen und Farben.

Jeder Generation ihre Monet-Ausstellung, das muss man den Österreichern schon lassen. Die letzte ist 22 Jahre her und ließ im Oberen Belvedere die Menschen Schlange stehen. Jetzt ist die Albertina dran, die sich wie als Referenz einen der drei Belvedere-Monets ausgeliehen hat, ein schönes Gartenbild aus dem Künstlergarten in Giverny. Selbst beherbergt man über die Sammlung Batliner ebenfalls drei, die sich jetzt unter die rund 100 Leihgaben von 40 internationalen Museen und Privaten mischen, ein entzückend skeptisches Kinderporträt des ersten Sohnes Jean kommt sogar aus einer Wiener Privatsammlung, der des Juweliers Hügler. So weit zum Stand der Dinge – Wien ist im Normalfall kein Impressionisten-Mekka. Die Stadt hat aber sehr wohl eine Tradition der Bewunderung für diese, denkt man an die Impressionisten-Ausstellung, die 1903 die Klimt-Gruppe in der Secession organisierte.

Monet ist die Urfigur dieser Bewegung, die parallel zur Entwicklung der Fotografie verstanden werden muss und endgültig die Abkehr der Malerei vom Abbilden der Realität markierte. Die vom hauseigenen Heinz Widauer und dem eingeladenen Dieter Buchhart kuratierte Albertina-Retrospektive erzählt nun die Geschichte dieses Lebens und Werks so spannend und geradlinig, wie sie sich uns heute darstellt: Vom armen Kunst-Revolutionär wandelte er sich zum Staatskünstler (die große Schenkung der Seerosenbilder für die Orangerie) – um sich im Spätwerk noch einmal, das war er seinem Genie schuldig, zum Visionär aufzuschwingen, zum Wegbereiter von Abstraktion und abstraktem Expressionismus in Amerika im Speziellen, für Marc Rothko, für Joan Mitchell, die sich 1968 sogar in Vétheuil ansiedeln sollte, in dem Häuschen, in dem Monet etwa 100 Jahre zuvor in größter Armut lebte.

Acht Kinder, zwei Frauen versorgte er

Für acht Kinder hatte Monet damals zu sorgen und für zwei Frauen, seine eigene, Camille, die gerade im Sterben lag, und Alice, die Frau seines größten Förderers Ernest Hoschedé, der gerade bankrott gegangen und geflohen war. Nachdem Camille gestorben war, heiratete Monet Alice und nahm zu seinen zwei Buben ihre sechs Kinder auf. Sie blieben lange zusammen, am Ende aber gewann das Blut, Monets Alleinerbe wurde sein Sohn Michel, der lieber Autorennen fuhr, als sich mit Kunst zu beschäftigen, und den Nachlass des Vaters an die Akademie der Künste vermachte. Heute ist dieser im Pariser Musée Marmottan ausgestellt, mit dem die Albertina hier zusammenarbeitet. Nicht verliehen hat das Marmottan das Ursprungsbild des Impressionismus, den orange-blassblauen „Sonnenaufgang, Impression“ von 1872, das der Bewegung den Namen verlieh – sie münzte eine abfällig gemeinte Kritiker-Bemerkung für sich um.

Was hat Kritiker, Künstler, die Menschen nur so aufgeregt an diesen aus heutiger Sicht so pittoresken Ansichten von Pariser Straßen, der Seine oder einem Blumengarten? Rund um 1874, als die erste Impressionisten-Ausstellung im gerade aufgelassenen Atelier des Fotografen Nadar stattfand, hieß der berühmteste Maler Frankreichs Ernest Meissonier. Berühmt war er für akribische Schlachtengemälde. Was für ein Gegensatz dazu: Die Impressionisten im Fotoatelier am Boulevard des Capucines, einem Sinnbild der modernen Stadteinteilung von Haussmann. Mit Motiven voll von zeitgenössischem Leben, keine Spur von Vergangenheit, verpflichtet dem Flüchtigen, Schnellen, dem Schnappschuss sozusagen, der hier dem neuen Medium Fotografie auch noch knapp vorweggenommen wurde.

Dieses Schnelle, Ausschnitthafte, Zufällige sieht man in Monets Bildern, etwa dem von seiner Frau Camille, die mit rotem Kopftuch gerade aus dem Haus gegangen zu sein scheint. Und nur kurz aufscheint in der gläsernen Ateliertür des Gatten (siehe Abb.). Oder eben im Ausblick auf die besagte neue Nobel-Einkaufsstraße Boulevard des Capucines, die Monet 1873 aus dem Nadarschen Atelierfenster festhält – man erkennt keine Details mehr. Das hat August Strindberg, der auch Kunstkritiken schrieb, erst einmal empört, das Bild sei diffus, man erkenne nicht einmal den Unterschied zwischen Mann und Frau etc. Nur vier Jahre später, erzählt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, war Strindberg schon ganz anderer Meinung: So und nur so könne man die heutigen Menschenmassen, das moderne Leben festhalten. Ein Meisterwerk, ist Strindberg jetzt überzeugt.

Erst mit 50 Jahren hatte er Erfolg

Es würden Jahre vergehen, bis das auch andere erkannten, vor allem Sammler in den USA übrigens. Monet musste 50 Jahre alt werden, bis er nach vielen Umzügen und Reisen genug Geld hatte, sich das Leben zu gestalten, wie er es wollte. 1890 kaufte er sich das Haus in Giverny, das heute ein eindrucksvolles Künstler-Museum ist. Er baute drei Ateliers, er legte einen unfassbar reichen Garten an, hier kam er zur Ruhe, hier begann nicht mehr er seine Motive zu erwandern, wie man es etwa bei seinen Serien zu Landschaftsformen im Zentralmassiv sieht, hier ließ er nur noch Zeit und Licht wandern.

Je weiter man in der Ausstellung voranschreitet, desto klarer wird, was Monet derart prägend machte: Strich und Farbe beginnen sich zu befreien, bis sie zum All-Over-Painting über die gesamte Leinwand werden. Die Bilder der letzten Jahre, die Monet in Giverny recht abgeschieden verbrachte, immer mehr sein Augenlicht verlierend, werden zu einem nahezu wilden Sturm der Linien, in denen man nur noch ansatzweise die Seerosen und die Rosenranken zu erkennen vermag. Auch diese extreme Massivität des Farbauftrags ist wegweisend, an den berühmten Bildern der Kathedrale in Rouen kann man bestaunen, wie Monet Farbe zum Relief schichtet und schichtet und schichtet.

Der japanische Farbholzschnitt, den Monet leidenschaftlich sammelte, war übrigens bei vielen seiner Schritte prägend. Ausgehend von der Wiener Weltausstellung 1873 eroberte dieser Trend damals auch Wien. Der Bedeutung des Japonismus für die Moderne, für Monet, van Gogh, Klimt und Kollegen, ist übrigens ab 10. Oktober eine große Ausstellung im „BA Kunstforum“ gewidmet. Ein Zusammentreffen, das wohl weniger Absicht als Glücksfall ist. Aber was für einer.

Monet, Albertina, bis 6. Jänner, tägl. 9–18h, Mi., Fr.–21h
Faszination Japan, BA Kunstforum, 10. 10.– 20. 1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2018)

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