Beim Salzburger EU-Gipfel diskutierten die Staats- und Regierungsoberhäupter über die Möglichkeit, dass EU-Länder anstatt der Aufnahme von Flüchtlingen einen finanziellen Beitrag leisten. Ein möglicher Termin für den Brexit-Gipfel wurde festgelegt.
Nach der von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zum Auftakt der österreichischen Ratspräsidentschaft ausgerufenen "Trendwende" in der Migrationspolitik ist Ernüchterung und Realismus in die Debatte eingezogen. Kurz macht Druck für eine Verständigung über das neue Mandat für die EU-Grenzschutzagentur Frontex bis Jahresende, dies hält auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker für möglich.
Der Brexit-Sondergipfel soll am 17. und 18. November stattfinden. Definitiv entschieden wird das aber erst beim regulären EU-Gipfel in vier Wochen und wenn es bis dahin genug Fortschritte in den Gesprächen gibt. Dies hat EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag nach dem Salzburger EU-Gipfel bestätigt. "Der Moment der Wahrheit ist der Europäische Rat im Oktober", sagte Tusk bei der Abschlusspressekonferenz.
Beim informellen Gipfel in Salzburg hat sich der EU-Außengrenzschutz wieder als kleinster gemeinsamer Nenner in der EU-Migrationspolitik erwiesen. Wer sich von Salzburg trotz der niedrig gehaltenen Erwartungen große Durchbrüche erhoffte, musste zumindest auf später vertröstet werden. Kurz und EU-Ratspräsident Donald Tusk forcieren die Kooperation mit Ägypten, bereits am Sonntag sollen erneut Gespräche mit Staatschef Abdel Fattah Al-Sisi in New York stattfinden.
"Mit der Verteilungsdebatte werden wir die Migrationskrise nicht lösen", betonte Kurz am zweiten Gipfeltag. Es habe diesbezüglich keine Veränderungen in der Diskussion gegeben. "Die Zugänge waren und sind unterschiedlich, und werden unterschiedlich bleiben." Die Chancen, diesbezüglich in den nächsten Jahren eine Lösung zu finden, seien "überschaubar".
Aufstockung auf 10.000 Mann
Der Aufstockung von Frontex von derzeit rund 1.600 auf 10.000 Mann bis 2020 wäre ein Erfolg für Kurz. Der Bundeskanzler hat sich massiv dafür eingesetzt, dass der Außengrenzschutz beschleunigt wird. Noch im Mai hatte die EU-Kommission als Zieldatum für die Frontex-Aufstockung das Ende der nächsten EU-Finanzperiode 2027 angepeilt.
Doch auch beim neuen Frontex-Mandat gibt es Streit um das Kleingedruckte. Italien, Griechenland, Spanien und Ungarn befürchten, dass die EU-Grenzschützer langfristig das Kommando übernehmen. Damit verbunden ist auch die Sorge, dass Migranten unter der EU-Aufsicht rigoroser registriert werden müssten als bisher.
Beim Brüsseler EU-Gipfel im Juni war die Erwartung noch höher. Die damals beschlossenen "Anlandeplattformen" für Migranten sind noch lange nicht beschlussreif: Weder gibt es eine Einigung auf das Konzept, noch haben sich bisher Nachbarstaaten der EU offiziell dazu bereit erklärt. Die Hoffnung in EU-Kreisen ist trotzdem, dass mit Ägypten eine vertiefte Zusammenarbeit im Kampf gegen die illegale Migration inklusive wirtschaftlicher Kooperationen zustande kommt. Dass ägyptische Repräsentanten in den vergangenen Tagen EU-Flüchtlingszentren auf eigenem Territorium eine Absage erteilt hatten, muss einer Zusammenarbeit in Sachen Migration nicht im Weg stehen. Ägypten lässt schon jetzt keine Flüchtlingsboote mehr von seinen Stränden abfahren.
Zittern vor Europawahl
"Wenn wir so weitermachen, nähren unsere politischen Spitzen Populismus und Extremismus in der EU", zeigte sich ein hochrangiger EU-Insider besorgt vor den bevorstehenden Europawahlen im Mai 2019. Nachsatz: Populisten wie der italienische Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini seien gar nicht an Lösungen bei der Migration interessiert, sondern wollten vielmehr das Thema aus wahltaktischen Überlegungen am Köcheln halten.
Als EU-Ratspräsident will Kurz trotzdem die Debatte über den EU-internen Umgang mit Flüchtlingen auf der Agenda halten. So forderte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte in Salzburg erneut ein gesamteuropäisches System zur Flüchtlingsverteilung. In einem Monat muss die österreichische EU-Ratspräsidentschaft bei einem Gipfel in Brüssel auch über die totgesagte Reform des Dublin-Systems Bericht erstatten. Über den Sommer führte der EU-Vorsitz mit allen Mitgliedstaaten Gespräche. Bisher gebe es dazu aber keinen Durchbruch, das Dossier wird wohl an die nachfolgende rumänische EU-Präsidentschaft weitergereicht.
In Salzburg kam auch wieder das Konzept "flexibler Solidarität" in die Diskussion, jedoch ohne nennenswerte Fortschritte. Dies würde bedeuten, dass sich Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, in einem gewissen Ausmaß "freikaufen" könnten. Er wolle jedenfalls keine Diskussion darüber wir beginnen, "wie viel ein Migrant kostet", meinte Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel dazu.
Mit Frontex und der Ägypten-Initiative sei die EU trotzdem auf dem richtigen Kurs, erklärte ein Insider. Jedoch sei die entscheidende Frage heute eine des politischen Willens. Seit 2015 habe die EU bei der Reduzierung der Neuankömmlinge Erfolge verzeichnen können. "Wenn wir jetzt jeden Gipfel einen Streit über Migration haben, dann entsteht der Eindruck, dass unsere Spitzen keine Ahnung haben", warnte ein EU-Vertreter in Salzburg.
(APA)