EU-Gipfel in Salzburg: Warum sie sich nicht bewegen

Aufstellung der Staats- und Regierungschefs zum Familienfoto im Salzburger Mirabell-Garten.
Aufstellung der Staats- und Regierungschefs zum Familienfoto im Salzburger Mirabell-Garten. (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Nicht einmal mehr beim Außengrenzschutz gibt es zwischen den EU-Regierungen Einigkeit. Hoffnungen setzt Kurz nun besonders in die Zusammenarbeit mit Afrika.

Salzburg. Viel Optimismus hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz im Vorfeld des informellen Salzburger EU-Gipfels versprüht und selbst keine Mühen gescheut, das Treffen zu einem Erfolg zu machen. Am Ende aber bleibt festzuhalten: Beim wichtigsten Thema der zweitägigen Großveranstaltung, der Migrationskrise, gibt es statt einer Annäherung neuen Zwist unter den Mitgliedstaaten.

So gilt nicht einmal mehr die Ausweitung des Frontex-Mandats zum Schutz der EU-Außengrenze als gemeinsamer Nenner unter den Staats- und Regierungschefs: Die südeuropäischen Länder Italien, Spanien und Griechenland wollen die Souveränität über das Grenzregime nicht abgeben, weil sie Migranten bisher ohne Registrierung nach Norden weiterreisen ließen – was unter Frontex-Aufsicht freilich nicht möglich wäre. Doch auch die Slowakei und vor allem Ungarn wehren sich gegen die Pläne der EU-Kommission, die allen voran die österreichische Ratspräsidentschaft, aber auch einflussreiche EU-Hauptstädte wie Berlin und Paris unterstützen. Der ungarische Premier, Viktor Orbán, präsentierte in Salzburg gar einen eigenen Vorschlag zu Frontex: Budapest ist dagegen, dass die EU-Agentur künftig „in einer Notsituation“ auch von sich aus tätig werden kann – gegen den Willen eines Mitgliedstaats. „Frontex hat noch nie einen Meter Grenze beschützt, wir dagegen Hunderte Kilometer“, betonte der Regierungschef in Salzburg. Laut seinem Vorschlag sollen jene Länder, die ihre Grenzen nicht ordentlich schützen, das Schengenabkommen verlassen.

Hohe Kosten bei Frontex-Ausbau

Zu guter Letzt meldete am Donnerstagnachmittag auch der niederländische Regierungschef, Mark Rutte, Bedenken gegen das Vorhaben an. Dem Vernehmen nach sorgt sich Den Haag um die hohen Kosten, die die Aufwertung der Grenzschutzagentur verursachen würde. Trotz aller Differenzen soll das neue Frontex-Mandat inklusive einer Ausweitung der Belegschaft auf 10.000Mann bis zum EU-Gipfel im Dezember beschlossene Sache sein, hofft neben Kurz auch Jean-Claude Juncker. Der Kommissionspräsident zeigte sich im Interview mit der „Presse“ und den wichtigsten Bundesländerzeitungen über die neuen Einwände enttäuscht – und mahnte zu mehr Solidarität bei der Bewältigung der Migrationsprobleme. Er habe deshalb vorgeschlagen, dass sich Mitgliedstaaten entweder finanziell beteiligen oder zumindest unbegleitete Kinder aufnehmen. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass Polen oder Ungarn dagegen demonstrieren und auf die Straße gehen würden.“ Für die österreichische Ratspräsidentschaft hat das Thema Flüchtlingsverteilung keine Priorität: Die Migrationskrise könne nicht auf diesem Weg gelöst werden, erklärte Kurz in Salzburg. Auch Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, hält offenbar wenig von der Juncker-Idee, sich durch finanzielle Zuwendungen aus der Flüchtlingsverteilung „freizukaufen“. Als sicher gilt, dass die Reform des Dublin-Systems, das die Asylzuständigkeit innerhalb der EU regelt, an den rumänischen EU-Vorsitz weitergegeben wird.

Türkei-Deal als Vorbild

Hoffnung setzt Kurz dagegen weiterhin auf die Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Ländern. Der Gipfelbeschluss der Staats- und Regierungschefs von Ende Juni, Zentren für im Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge außerhalb der EU zu errichten, gilt zwar nicht mehr als besonders realistisch. Stattdessen werden mit Ägypten, Tunesien, Marokko und Libyen Deals angestrebt, die „ähnlich geordnet sind wie jener mit der Türkei“, erklärte Merkel nach dem Ende der Beratungen. Mit Kairo funktioniert die Zusammenarbeit bereits heute gut. Wenige Tage vor dem Salzburg-Gipfel hatte Kurz Staatschef Abdel Fattah al-Sisi besucht und „gute Gespräche“ geführt; im Februar soll es einen Gipfel der Union mit der Arabischen Liga geben.

Auch die Beziehungen mit anderen afrikanischen Staaten, aus denen sich besonders viele Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen, sollen intensiviert werden. „Wir wollen eine enge Partnerschaft, müssen aber noch viel lernen“, so Merkel. Anfang Dezember diesen Jahres ist ein Treffen mit Teilnehmern der Afrikanischen Union in Wien geplant.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2018)

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