Zweites Brexit-Referendum? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch sie stirbt

Der Kurswechsel der Labour-Partei kommt erstens zu spät und ist zweitens unglaubwürdig. Parteichef Jeremy Corbyn und sein Schattenkanzler John McDonnell wollen außerhalb der EU ihre sozialistischen Träume verwirklichen.

Großer Beifall, lauter Jubel, Freudentränen und Hoffnungsschimmer - die Labour-Partei hat sich bei ihrem Kongress zu einem Beschluss durchgerungen, dem zufolge ein neuerliches Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU nicht auszuschließen sei, sollten Neuwahlen nicht möglich sein. Dass Neuwahlen die bevorzugte Option von Labour-Chef Jeremy Corbyn und seines Schattenkanzlers John McDonnell sind, liegt auf der Hand: Das Schauspiel, das die regierenden Tories momentan bieten, ist derart jämmerlich, dass Labour die Aussicht auf einen komfortablen Wahlsieg hätte, ohne sich dafür sonderlich anstrengen zu müssen. Ein beträchtlicher Teil des britischen Publikums - darunter viele junge Labour-Sympathisanten - hat es satt, dieser Posse beizuwohnen, und will am liebsten die Uhr zurückdrehen und das Austrittsvotum ungeschehen machen. Doch das geht nicht. Und zwar aus mindestens drei Gründen.

Grund Nummer eins ist der enge Zeitplan. Die britische EU-Mitgliedschaft erlischt am 29. März 2019, um 23.00 Uhr Londoner Zeit. Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel über die Modalitäten des Brexit werden ohne Zweifel noch einige Monate in Anspruch nehmen. Die Entscheidung über ein zweites Referendum hätte vorgestern gefällt werden müssen - oder, noch besser, vor dem Sommer. Damit sich eine Neuauflage ausgehen kann, müsste der Brexit-Countdown gestoppt werden.

Damit wären wir bei Grund Nummer zwei. Nur die EU kann die Uhr anhalten. Und nur einstimmig. Um das zu tun, müsste London die Europäer überzeugen, dass die Verzögerung kein taktisches Spielchen ist, sondern ernst gemeint. Das wird allerdings schwierig, denn die Briten sind bezüglich der EU zutiefst gespalten. Und diese Spaltung verläuft nicht nur zwischen Schichten und Millieus, sondern auch quer durch Parteilager.

Nehmen wir die Labour-Partei als Beispiel: Während die jungen Parteifreunde von einer Rückkehr nach Europa träumen, hegen Corbyn und McDonnell einen anderen Traum: den eines britischen Sozialismus mit Tweed und Fünf-Uhr-Tee, mit starken Gewerkschaften und verstaatlichten Industrien, aber ohne lästige Konkurrenz aus dem europäischen Ausland. Für die EU mit ihren vielen Regeln ist in dieser Idylle in Rot kein Platz. Hinzu kommt, dass die Labour-Spitze einen möglichst traumatischen Brexit braucht, um ihre Reformpläne durchzusetzen. Oder, um mit den Worten von McDonnell zu sprechen: "Je größer das Chaos, das wir erben werden, desto radikaler werden wir sein müssen."

Das ist der dritte und letzte Grund, warum sich niemand allzu sehr auf einen Exit vom Brexit freuen sollte. Am Vorabend des EU-Austritts haben in beiden großen Parteien Großbritanniens nicht die Pragmatiker, sondern zynische Ideologen das Sagen.

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