Die CDU/CSU hat den langjährigen Merkel-Vertrauten Volker Kauder als Fraktionschef im Bundestag abgewählt. Deutsche Politiker sprechen von einer "Merkel-Dämmerung". Die Kanzlerin selbst sieht keinen Grund, im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen.
Dass Ralph Brinkhaus am Dienstag zum neuen Vorsitzenden der Unions-Bundestagsfraktion gewählt wurde, hat in der Führung der Unionsparteien die Alarmglocken schrillen lassen. Denn nur zwei Tage, nachdem die Parteichefs von CDU, CSU und SPD den Streit um den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen beigelegt hatten, ging es gleich weiter im Krisenmodus. Und die Abwahl des Merkel-Vertrauten Volker Kauder von der CDU/CSU-Fraktionsspitze könnte noch eine Reihe von heftigen politischen Nachbeben haben.
Die oppositionelle FDP forderte lautstark, Merkel müsse im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Die Fraktion sei ihr entglitten, die CDU-Chefin könne insgesamt ihren Führungsanspruch nicht mehr durchsetzen, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, im ZDF-"Morgenmagazin". "Das Land hat Anspruch auf eine handlungsfähige Regierung." Zuvor hatte dies bereits FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner gefordert.
Regierungssprecher Steffen Seibert erteilte diesem Ansinnen im Namen Merkels eine Abfuhr. "Nein", dies halte er nicht für erforderlich, sagte er am Mittwoch in Berlin. Auch der neue Fraktionsvorsitzende Brinkhaus selbst versicherte, er werde die Kanzlerin unterstützen.
Die meisten Kommentatoren urteilen, dass die Kauder-Niederlage vor allem für die Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel ein schwerer Schlag war. Immerhin verliert Merkel einen Vertrauten, der seit Beginn ihrer Amtszeit als Kanzlerin an ihrer Seite stand - und dessen Wiederwahl sie ausdrücklich unterstützt hatte. Sie selbst sprach am Dienstag von einer "Niederlage". Schon das schlechte Bundestagswahlergebnis hatte eine Debatte über die Nach-Merkel-Zeit ausgelöst. Nun rückt diese Frage noch stärker ins Zentrum der Debatten.
Das brachten die Reaktionen aus dem konservativen Unionsflügel zum Ausdruck. "Mit dem heutigen Tag hat die Merkel-Dämmerung unwiderruflich begonnen", erklärte der Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch. Der Sieg von Brinkhaus zeige, "wie groß sogar in der bisher sehr folgsamen Fraktion der Wunsch nach einem inhaltlichen und personellen Neuanfang an der Spitze ist". Merkel müsse ihren bisherigen Kurs, vor allem in der Asylpolitik ändern.
Abwahl beim Parteitag im Dezember?
Denn gerade weil die Entscheidung für Brinkhaus gegen Merkels ausdrücklichen Willen getroffen wurde, richten sich nun alle Blicke auf den CDU-Bundesparteitag im Dezember: Dann steht für Merkel nach 18 Jahren an der Spitze der CDU die Wiederwahl als Parteivorsitzende an. Und seit Dienstagnachmittag gilt als wenig vorhersehbar, wie das Ergebnis ausfallen wird.
Quasi als Kollateralschaden hat die Abwahl Kauders auch die CSU-Politiker Horst Seehofer und Bayerns Landeshauptmann Alexander Dobrindt getroffen. Beide hatten sich ebenso wie Merkel kurz vor der Wahl ausdrücklich für die Wiederwahl Kauders ausgesprochen, der in der bayerischen CSU-Landesgruppe jedoch schon wegen seiner Haltung in der Flüchtlingsfrage auf Skepsis stieß. Die CSU-Landesgruppe dürfte in der geheimen Wahl anders als in früheren Jahren nicht mehr als Block aufgetreten seien. Und schon beim Grenz-Streit mit der CDU im Juli hatten sich Risse in dem einst monolithischen Block der Landesgruppe gezeigt.
Brinkhaus, Hardliner in EU-Fragen
Sympathie genießt Brinkhaus bei den Konservativen in der CDU/CSU auch wegen seiner Kritik an den Europa-Vorschlägen von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Mit Brinkhaus dürfte der im Koalitionsvertrag versprochen "Aufbruch" in der Europapolitik vollends beendet werden, fürchtet man jetzt beim Koalitionspartner SPD. Allerdings: Brinkhaus gilt nicht als echter Europa-Skeptiker - eher als harter Haushälter auch in EU-Fragen.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hält die Union nach der Wahl von Brinkhaus für "zutiefst gespalten". Die Entscheidung für Brinkhaus und die Abwahl des von Merkel unterstützten Kauder seien ein "Ausdruck für ganz viele ungelöste Konflikte", sagte Hofreiter im Fernsehsender Phoenix. Die Union sei "nicht mehr in der Lage, vernünftig zusammenzuarbeiten", und "kaum mehr regierungsfähig".
(APA/Reuters/AFP)