Erdogans Versöhnungsbesuch in Deutschland

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Der türkische Präsident fasst bei seinem Staatsbesuch in Berlin einen Neustart der Beziehungen ins Auge. Das scheint auch bitter nötig: Lira-Verfall und das Zerwürfnis mit den USA setzen Ankara unter Druck.

Eine Umarmung kann Sympathie-Bekundung sein - oder eine bessere Kontrolle des Gegenübers ermöglichen. Dieser doppelte Effekt könnte auch beim Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland von heute bis Samstag sichtbar werden. Denn der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Visite zum Staatsbesuch aufgewertet. Dies soll nach Angaben des Präsidialamtes die Bedeutung der Türkei gerade für Deutschland mit seinen rund drei Millionen türkischstämmigen Bürgern unterstreichen.

Möglicherweise sorgt der größere protokollarische Rahmen aber auch dafür, dass Erdogan bei seinem Besuch auf neue Provokationen verzichtet. Denn der türkische Präsident fasst ausdrücklich selbst einen Neustart der politischen Beziehungen ins Auge - wie er es auch mit Österreich anvisiert. "Wir wollen all die Probleme hinter uns lassen und wieder eine herzliche Atmosphäre zwischen der Türkei und Deutschland schaffen - genau so, wie es früher war", sagte Erdogan am Rande der UN-Vollversammlung in New York.

Das scheint auch bitter nötig. Denn spätestens seit dem Putschversuch in der Türkei 2016 haben sich die Beziehungen der beiden Nato-Partner deutlich verschlechtert. Erdogan verschärfte in der Folge den restriktiven innenpolitischen Kurs gegen Gegner seiner AKP-Regierung und beschimpfte Deutschland sowie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in härtesten Tönen. Die Verhaftung von Oppositionellen und auch deutschen Journalisten führte zu scharfen Kontroversen zwischen beiden Regierungen - und nun zur Kritik der Opposition, dass Erdogan überhaupt in einem feierlichen protokollarischen Rahmen empfangen wird.

Erdogan steht wegen Wirtschaftskrise unter Druck

Aber der Zeitpunkt, zu dem beide Regierungen wieder einige Schritte aufeinander zugehen, wird in Berlin und Ankara als günstig erachtet. Erdogan selbst steht aus drei Gründen massiv unter Druck. Zum einen befindet sich die Türkei in einer Wirtschaftskrise und sucht nach Partnern.

Mit Deutschland ist die Türkei wirtschaftlich eng verflochten: Mehr als 6500 Unternehmen mit deutscher Beteiligung sind auf dem türkischen Markt aktiv, von Siemens bis zu Hugo Boss. Sie beschäftigen zusammen etwa 120.000 Mitarbeiter. Zugleich ist Deutschland für die Türkei der wichtigste Exportkunde.

Weil Erdogan zudem wenig Interesse daran hat, den Internationalen Währungsfonds erneut um Hilfe zu bitten, kursieren seit Monaten Gerüchte, er könnte europäische Regierungen um Hilfe bitten. Nach einem Vorbereitungstreffen türkischer Minister hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz allerdings erklärt, deutsche Finanzhilfen für die Türkei seien kein Thema.

Zum anderen sind die Beziehungen zwischen den USA und dem Nato-Land Türkei frostig geworden. Aus Ärger über die Inhaftierung des evangelikalen US-Pastors Andrew Brunson verdoppelte US-Präsident Donald Trump in der Türkei die Importzölle auf Aluminium und Stahl, was die Wirtschaftsmisere weiter angeheizt hat. Erdogan kann sich aber keinen Allfronten-Streit mehr leisten. Und Schließlich gibt es gemeinsame Interessen, wozu vor allem der Versuch einer Deeskalation im syrischen Bürgerkrieg gehört. In Berlin wird anerkannt, dass sich die Türkei sehr bemüht habe, in Verhandlungen mit Russland etwa eine humanitäre Katastrophe in Idlib zu verhindern. Die Türkei ist aber auch für die Gasversorgung Europas und eben als Nato-Partner wichtig.

Berlin dämpft Erwartungen

Doch bei allem Willen zu einem reibungslosen Besuch: Es warten in den drei Tagen, die sich Erdogan in Deutschland aufhalten wird, viele Stolpersteine. Steinmeier werde natürlich die Lage der noch inhaftierten Deutschen und die Lage der Journalisten und Zivilgesellschaft in der Türkei ansprechen, heißt es im Präsidialamt. Man werde die Punkte "respektvoll, aber mit der gebotenen Deutlichkeit" vorbringen.

Bei Kanzlerin Angela Merkel, die Erdogan am Freitag und am Samstagmorgen trifft, wird der restriktive innenpolitische Kurs des Präsidenten ebenfalls Thema sein. Immerhin steht der südosteuropäische Staat auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit nur noch auf Platz 157 von 180 Staaten. Deutlich dürfte es auch auf der Pressekonferenz mit der Kanzlerin - und beim Staatsbankett am Freitagabend werden.

Zudem sind etliche Demonstrationen sowohl in Berlin als auch in Köln vorgesehen, wo Erdogan am Samstag eine Moschee einweihen will. Besonderes Augenmerk wird dabei auch auf den Leibwächtern des türkischen Präsidenten liegen, die etwa in Washington für einen Eklat gesorgt hatten, als sie auf Demonstranten einprügelten. Sollte sich dies in Deutschland wiederholen, wäre jeder Versuch einer Wiederannäherung gescheitert. Aber ohnehin werden in Berlin zu hohe Erwartungen gedämpft. Von einer Normalisierung der Beziehungen sei man "noch weit entfernt", hieß es im Präsidialamt.

(APA/Reuters/Andreas Rinke)

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