Mercedes-AMG: Weiß wie die Unschuld

(c) Juergen Skarwan
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Mercedes-AMG wildert in fremden Revieren. Jäger greifen zur Büchse.

AMG? Den deutschen Sportwagen kennt man eher unter drei Ziffern denn unter drei Buchstaben. Seit er 1964 auf die Welt gekommen ist, steht der Porsche 911 wie kein anderer für den schnellen, begehrenswerten Straßenhobel aus deutscher Wertarbeit. Aber das muss ja nicht für alle Zeiten so bleiben.

Nach einer Ansprechzeit von einem halben Jahrhundert – im Jahr 2014 – mobilisierte Mercedes etwas, das man eine vollwertige Alternative nennen kann. Und das bislang kein anderer deutscher Hersteller aufbieten wollte. Oder konnte. Auch Mercedes nicht.
Mit der noblen Aufgabe betraut wurde freilich die Sportabteilung AMG, eine Truppe, die selbst schon Legendenstatus innehat: 1967 von den Herren Aufrecht und Melchert in Großaspach – das ergibt das Akronym – als unabhängiger Mercedes-Tuner im Hinterhof gegründet, 2005 nach vielen gemeinsamen Ruhmestaten auf Straße wie Rennsport zur Gänze von Daimler übernommen. Nur dass sich die Affalterbacher Motor- und Fahrwerksalchemisten diesmal nicht aufs bloße Schnellermachen beschränken mussten, sondern ein frisches, weißes Blatt Papier aufziehen durften.
Den bis dahin gebauten, 2010 lancierten und ebenfalls eigenständig entworfenen SLS darf man als Generalprobe mit Solitär verstehen. Denn um den GT wurde gleich eine ganze Familie gegründet: Zweitürer als Coupé oder Roadster in verschiedenen Eskalationsstufen, im erweiterten Kreis Viertürer mit Allrad und Sechszylinder als Gegen-Panamera.

Boxermotor im Heck – was eine irgendwie anachronistische, aber längst liebgewonnene und heute souverän ausgespielte Eigenart des 911er ist, kommt für einen Kraftlackel dieser Tage natürlich nicht infrage. Auch sollte es nicht die sportliche Kompromisslosigkeit eines klassischen Mittelmotors werden, das bedeutet schon der Begriff des Gran Turismo, der im Kern den schnellen, gern auch hochmotorisierten Reisewagen bezeichnet, aber keinen puristischen Racer wie beispielsweise die neue Alpine. Dies alles mit der Einschränkung, dass der V-Motor des AMG-Mercedes GT ohnehin so weit nach hinten geschoben in seinem Käfig hockt, dass von einem Front-Mittelmotor gesprochen werden kann – mit den entsprechend dynamischen Qualitäten. Was den V-Motor angeht: Das ist nicht mehr das 6,2-Liter-Saugmonster aus dem SLS, sondern ein doppelt aufgeladener Vierliter-V8, wie man ihn übrigens auch bei Aston Martin schätzt, dort findet die Maschine im DB11 einen namhaften Untersatz. State of the Art, sozusagen – Hauptsache, die Motorhaube des GT ist gefühlte zehn Meter lang.
Im Fall des C ist leistungsmäßig die goldene Mitte getroffen zwischen GT (476 PS) und GT R (585 PS), wobei der C der stärkste Roadster ist.
Die Zahlen sind aber gar nicht so wichtig, denn der V8 von AMG ist ein echter Charakterbursche, der nicht erst bei 5000 Touren zum Leben erwacht. Zum bloßen Promenieren, also dem gepflegten Eindruckschinden, könnte man sich ein Drehzahllimit von 3000 Touren auferlegen, ohne dem Straßenpublikum – oder sich selbst – etwas schuldig zu bleiben. Immerhin befindet man sich da schon auf einem 680 Newtonmeter hohen Drehmomentplateau, auf dem der Motor ohne erkennbare Anstrengung mit der Hinterachse korrespondiert.
Den GT kann man nämlich auch als Muscle Car der alten Schule begreifen und betreiben, als üppigst motorisierten Cruiser, der schon im Dahinrollen einen sagenhaften Soundtrack legt. Dieses dumpfe, kernige Brabbeln und Blubbern hat eine spezielle US-Abstimmung erhalten – die Gegenstimme zum hysterischen Kreischen der V8 aus Maranello oder dem akustischen Pürierstab des Sechszylinder-Boxers im 911er. Es ist schwer, sich daran satt zu hören, weswegen man rundheraus zum Roadster raten
kann – Dach auf, Ganslhaut an.
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Der GT wäre kaum ein Geschöpf der Ruchlosen von AMG, wenn er nicht auch die Seele eines Racers hätte.
Dazu schalten wir zum Sportprogramm, und zwar in Form eines Rädchens, das Positionen von Comfort über Sport und Sport+ bis zu Individuell verwaltet. Nebenbei kann man auch noch per Knöpfchen über Auspuffklappen, Schaltzeiten des 7-Gang-Getriebes – wenn man nicht gleich die Paddles am Lenkrad unter die Fingerkuppen
nimmt – und Dämpferabstimmung befinden. Im Grunde reicht es aber, auf S+ zu drehen und damit alle Akteure an Bord in Alarmstimmung zu versetzen. Die Drehzahlnadel fühlt sich nun im obersten Drittel zu Hause, wo es bei 7000 Touren in den Begrenzer geht. Da ist aber schon flugs der nächste Gang im Getriebe nachgeschossen, dem Namen Speedshift alle Ehre machend. Knappes, entschlossenes Anbremsen vor der Kurve, mit nahezu null Untersteuern in die Biegung und frühzeitig wieder aufs Gas, sodass die Heckpartie mit leichter Seitwärtstendenz noch beim Zielen auf die nächste Gerade hilft. So jagt es sich durch die hoffentlich einsame Kurvenstraße, schießt es derb aus der Abgasanlage, dass der Jäger Wilderer in seinem Revier vermutet und zur Büchse greift. Gut, dass wir längst über alle Berge sind.
Der GT mag etwas grober behauen sein als der 911 Turbo, aber er bietet mehr Wumms und Krawall zum deutlich günstigeren Tarif, und wenn es ums Schaulaufen geht, ist er ohnehin ein Weltmeister.

(c) Juergen Skarwan

Dach auf, Ganslhaut an

AMG-Mercedes’ schrecklich nette GT-Familie findet im C-Roadster die goldene Mitte. Power ohne Ende, offen und gewohnt extrovertiert.

Name : AMG-Mercedes GT C Roadster
Preis : 208.610 Euro
Motor : V8-Biturbo, 3982 ccm
Leistung : max. 557 PS bei 5750 U/min
Gewicht : 1700 kg (EU)
0–100 km/h : 4,3 Sekunden
Vmax : 302 km/h
Verbrauch : 8,7 l/100 km laut Norm
CO2 : 205 g/km laut Norm

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