Bugatti: Die Legende neu

(C) Klemens Kubala
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Die wunderbaren Mythen rund um die Marke Bugatti wurden bereichert durch eine ästhetisch unübertroffene Art, wie ein kunstsinniger Mensch den letzten Gurgler macht. Aber der Bugatti war’s nicht: Die fast neuesten Nachrichten zur letzten Fahrt
der Isadora Duncan.

(C) Klemens Kubala

Die Amerikanerin Isadora Duncan war die berühmteste Tänzerin der Zwischenkriegszeit, Kenner handeln sie heute noch ganz oben in der ewigen Bestenliste. Sie starb 1927 in Nizza als Beifahrerin in einem offenen Auto, als sich ihr zwei Meter langer Schal gleich nach dem Anfahren in den Speichen des Wagens verfangen hat und ihr das Genick brach.
Die Meldung selbst und die Umstände waren weltweite Headline in den News, und vom ersten Moment an war klar, dass es um einen Bugatti 35 ging.
Es ist ja kein Fotograf dabei gewesen. Die Zeitungen und Zeitschriften setzten Phantasie in Illustrationen um: Boulevard in Nizza, blauer Bugatti, langer roter Seidenschal, flatternd bei der stolzen Geste des Einsteigens, flatternd im ersten Fahrtwind, dann, uggs, ein Knäuel in den Radspeichen.
Eine Freundin der Tänzerin ist die einzige maßgebliche Zeugin gewesen. Sie kannte die Umstände der Fahrt. Ein anzubahnendes Techtelmechtel mit einem griechischen Gott, als Chauffeur einer Bugatti-Werkstatt verkleidet. Die Freundin hat die letzten Worte der Tänzerin gehört und die ersten Worte des Lenkers überliefert, als er anhielt: „Oh mein Gott, ich habe die Madonna getötet.” Es gab immer mehr Storys, bald auch Bücher, dann einen Film.

Man sollte auch wissen, dass Isadora Duncan als Künstlerin, als Mensch, als Liebende sehr intensiv war, überspannt im besseren Sinn des Wortes. Typisch, dass sie kurze Zeit mit dem jungen russischen Lyriker Sergej Esenin verheiratet war, der sich in einem Leningrader Hotel die Pulsadern aufschnitt, mit seinem Blut noch ein Gedicht schrieb und sich dann am Fensterkreuz erhängte, mit Blick auf den prachtvollen Platz vor der Jakobskathedrale.
Kurz und in aller Ehrfurcht gesagt: Isadora und alle, die bei ihr angestreift sind, waren also irgendwie überdrüber.
1927 war Isadora Duncan fünfzig Jahre alt. Ihre größten Triumphe lagen naturgemäß einige Jahre zurück. Freundinnen und Freunde hielten sie finanziell über Wasser. Sie konnte immerhin ein Tanzstudio in Nizza betreiben und war natürlich unverändert einer der berühmtesten Menschen ihrer Zeit. Wenn sie abends einlud, gehörten Männer wie Picasso, Cocteau und Shaw ganz selbstverständlich dazu.
Im Sommer 1927 bekam Isadora gutes Geld als Honorar für ihre Memoiren und durch den Verkauf ihres Autos, eines Franklin (durchaus eine Freude für den Autohistoriker: Sechszylinder, luftgekühlt, mit der Attrappe eines Wasserkühlers).
Zwischendurch trat sie auch in Paris auf, Zeitgenossen berichten von einem sagenhaften Erfolg, mit dutzenden Vorhängen. Die Kritik sprach von der „ewigen Jugend der Isadora Duncan”. Sie war also durchaus in der Lage, sich zur Höhe ihrer Kunst und ihrer längst idealisierten Erscheinung hochzuziehen, wenn sie genügend Motivation hatte.
Ein Mensch, der ihr jene Motivation gab, war ihre alte Freundin Mary Desti, die aus Amerika zu Besuch gekommen ist. Ihr Mitbringsel war ein von einem russischen Künstler bemalter Seidenschal, zwei Meter lang. Mary blieb auch in den schlechteren Wochen jenes Sommers bei Isadora. Die Tänzerin war wieder pleite, rückte in die untere Hotelkategorie.
Man speiste eines Abends in einer Kneipe am Meer. Zur Sorge des Lesers, ob Phantasie und Wahrheit in den folgenden Sätzen ein schlampiges Verhältnis eingingen, muss man sagen, dass es neben zahllosen Duncan-Büchern auch einen Beitrag der Mary Desti gibt: „The Life of Isadora Duncan”, New York, 1929.
Isadora hob ihr Glas und lächelte jemandem hinter Marys Rücken zu.

„Kennst du ihn?”
„Nein, aber er ist süß.”
Mary drehte sich um und glaubte sofort den Beruf des Unbekannten zu begreifen.
„Wie kannst du dich mit ihm einlassen! Noch dazu ein Chauffeur?”
„Mary, wie bist du bürgerlich. Was heißt Chauffeur? Siehst du nicht, dass er ein verkleideter junger griechischer Gott ist?”

Isadora ließ herausfinden, dass der junge Gott für eine Autovertretung in Nizza arbeitete. Man sah ihn wohl hin und wieder auf Probefahrt in einem Sportwagen, die waren damals alle offen, zweisitzig und in Frankreich meistens blau. Isadora gab dem Unbekannten sofort den Namen „Buggatti”, sehr wohl mit gg, wie aus ihren Notizen überliefert ist, sie hatte ja keine Ahnung von Autos. Bugatti oder Buggatti, das hatte einfach den gewissen Klang, auch für eine Amerikanerin.
Wie es der Dame gelang, den jungen Mann so weit zu bezirzen, dass er sie zu einer Spazierfahrt einlud, davon erzählen die tollsten Geschichten, allesamt erfunden, die meisten noch in den 1920er- und 30er-Jahren (es gibt auch zwei Film-Varianten, darunter eine mit Vanessa Redgrave). Besonders drollig geht es in dem Buch „Isadora” von Maurice Lever zu. Demnach habe der junge Mann die Tänzerin besucht. Isadora fragte nach dem Wagen.

„Geht er schnell? Ich will beim Autofahren Angst haben.”
„Oh! Und wie! Sie können raufgehen bis 130 . . . 150 . . ., klar, bei diesem Tempo haben Sie in den Ohren nichts als den Lärm des Motors und den vollen Fahrtwind. Vor allem, weil es keine Windschutzscheibe gibt.”
„Umso besser. Ich liebe es, wenn mir der Wind das Gesicht peitscht.”
„Na, da kann Ihnen geholfen werden.”
Kleines Lachen. Ein wenig verlegene Stille. Sie schenkte sich einen Cognac nach, dann setzt sie sich zu seinen Füßen, ihren Arm auf seinem Knie.

„Was haben wir gesagt? Ah ja! Dieser Bugatti 35 . . ."
„Ich muss Ihnen sagen, dass man ihn in Sachen Komfort nicht mit einer Limousine vergleichen kann . . . keineswegs . . ., es ist eben ein Sportwagen. So hat er zum Beispiel nur winzigste Kotflügel, und weil das Hinterrad nur etwa 15 Zentimeter vom Passagier entfernt ist, wäre es ungeschickt, seinen Arm draußen zu lassen. Außerdem gibt es keine Tür, Sie müssen drübersteigen. Allerdings ist die Karosserie an dieser Stelle tief eingeschnitten. Sie werden bestens damit zurechtkommen. Natürlich gibt es nur zwei Plätze . . . alle Funktionen sind auf Geschwindigkeit ausgelegt, Sie verstehen . . ., und weil es sehr wenig Platz gibt, ist der Sitz des Passagiers ein klein wenig hinter dem des Fahrers. Man muss ein bisschen seltsam sitzen, mit dem rechten Arm hinter dem Rücken des Fahrers.”

„Wollen Sie es mir nicht zeigen?”
Und, nachdem er dies nicht wagt:
„In dieser Position?”

Sie legt ihm die Hand auf die Schulter, ihr Gesicht nähert sich dem seinen . . .
Der geübte Leser wertvoller Weltliteratur ahnt, dass exakt in diesem Moment ein anderer Mann ins Studio stürmen wird, ihr Ex-Lover und lebenslang größter Mäzen mit dem guten Namen Singer – tatsächlich der Erbe des Nähmaschinen-Imperiums.
Gesicherten Boden, wenn auch nur für Minuten, finden wir erst am 14. September 1927. Der junge Mann holt Isadora tatsächlich mit dem Auto ab, Freundin Mary Desti hat’s gesehen. Angeblich habe Isadora gesagt: „Adieu, ich gehe in die Herrlichkeit”, oder wie immer wir „gloire” in diesem Zusammenhang übersetzen möchten.

Die Polizei legt Protokolle an und schnell wieder ab, der Fall ist ja klar. Der Chauffeur ist geknickt und hat keinen Drang zur Öffentlichkeit. Die Freundin, die keine Ahnung von Autos hat, Amerikanerin noch dazu, erzählt ihren Teil der Geschichte, die Bücher und Filme verfärben alles ins Romantische. Der tragische Unfall wird Teil des Bugatti-Mythos.
Wenn man zwischendurch von irgendwelchen Gerüchten hörte, es sei gar kein Bugatti gewesen, sondern ein weniger strahlendes Produkt, versandete man bald in der Ebene. Kollege Wolfgang Peters von der „FAZ” hat vor gut zwanzig Jahren bei Polizeistellen in Nizza nachgefragt, ob er da mal tiefer schürfen dürfe, aber er war wohl an die Gendarmen von St. Tropez geraten.
Ab der Internet-Zeit betrieb die Bugatti-Community die Weiterführung des Üblichen, aber das neue Medium war natürlich auch flink im Aufgreifen von neuen Hinweisen. Es entwickelte sich eine Debatte, ob es nicht ein Amilcar gewesen sein könnte, wohl auch ein feiner französischer Sportwagen, aber doch eher die Arme-Leute-Version eines Bugatti. Übrigens: In einem Werk im Wiener Arsenal wurden 1924 und 1925 österreichische Amilcars montiert, dann ging die Firma pleite.
Die Chats drehten sich dann jahrelang um die Ähnlichkeit von Bugatti 35 und Amilcar CGSS, die ist ja tatsächlich gegeben, von vorn und im Profil, beginnend mit den Speichenrädern und den smarten Knock-off-Radmutterkappen. Und blau waren diese Autos ja meist sowieso.
Wer dann manchmal ins Netz schaute, merkte ein Stärkerwerden der Amilcar-Fraktion. Erst jüngst wurde der endgültige Beweis nachgereicht, und heute steht in Wikipedia und sonst wo ganz selbstverständlich: Isadora Duncan ist in einem Amilcar CGSS zu Tode gekommen.

Hintergrund der unglaublich späten Korrektur ist die Person des Chauffeurs, der sich einfach nie zu Wort meldete. Der Italo-Franzose BenoÎt Falchetto war 42 und ganz offensichtlich ein sehr fescher Kerl, als er in einem Café in Nizza Blickkontakt zu Isadora Duncan hatte, insoweit stimmt ja die landläufige Erzählung. Es stimmt auch, dass er sie ein paar Tage später abholte und es zu dem Unglück kam.
Falchetto war der Juniorchef der Helvetica Garage in Nizza, die eine Amilcar-Vertretung hatte. Dass man den Wagen vor dem Café für einen Bugatti halten konnte, ist einleuchtend, und dass die Zeugin Mary Desti am Unglückstag bei dieser Meinung blieb, ist auch klar.
Falchetto wurde ein paar Jahre danach Rennfahrer. Die späte Karriere war damals nicht ungewöhnlich, durch den Ersten Weltkrieg hat sich vieles um eine Generation verschoben. Er fuhr – dann – tatsächlich auf Bugatti 35 auch Maserati. Er gewann vier Grands Prix (was damals auch eine kleinere Kategorie von Rennen einschloss) und beendete 1935 seine Laufbahn.
Er muss ein recht uneitler Mann gewesen sein, jedenfalls ging er mit der Story nie an die Öffentlichkeit. Er machte aber auch kein Geheimnis daraus, und so gab es sehr wohl detailgenaue Aufzeichnungen durch seine Freunde. Falchetto starb 1967, da war er 82. Eine Gruppe von Menschen wusste natürlich Bescheid, aber die machten auch kein Geschrei um die alte Sache. Es gab immerhin Hinweise in der Motorsport-Schreiberei, aber es blieb bei unbestimmten Gerüchten, als ob da irgendwer gegen den Bugatti-Mythos anstinken wollte. Erst mit dem Internet geriet, vorerst langsam, Bewegung in die Sache, Quellen wurden gecheckt und weiterverfolgt, und jetzt wissen wir’s genau: Isadora Duncan starb an der Seite des BenoÎt Falchetto in einem blauen Amilcar CGSS Baujahr 1926.

(C) GettyImages

Isadora Duncan

(1877–1927), USA, war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die meist bewunderte Tänzerin der Welt. Sie war „modern“ in einer Art, das klassische Schönheitsideal ins frisch erwachende Körperbewusstsein umzusetzen. Im Privatleben war sie radikal, in ihren Ansichten und Beziehungen zwischen Revolutionären und Millionenerben. Ihr schwerster Schicksalsschlag war der Tod ihrer zwei Kinder, als der Wagen durch eine Unachtsamkeit des Chauffeurs in die Seine rollte.
Zahllose Dance Companys und
Studios auf der ganzen Welt
tragen heute noch den Namen
Isadora Duncan weiter.

(C) Klemens Kubala

Amilcar

Französischer Hersteller ab 1921. Die Autos hatten nicht nur äußerlich Ähnlichkeit mit einigen Bugatti-Typen, auch der Glaube an kleine, puristische Hochleistungsautos galt für beide Unternehmen. Der CGSS hatte einen 1100-ccm-Vierzylinder mit knapp 40 PS. Ein Auto dieser Bauart gewann die Rallye Monte Carlo 1927. Weitere große Sporterfolge blieben aus, auf dem zivilen Automarkt hatte Amilcar noch durchaus Erfolg, bis die Firma im Sog der Wirtschaftskrise ihre Unabhängigkeit verlor und 1937 von Hotchkiss (Paris) gekauft wurde.

Bugatti Typ 35

Der ab 1924 gebaute Grand-Prix-Wagen Bugatti Typ 35 war ein offener Zweisitzer mit Zweiliter-Achtzylinder. Die diversen Versionen der 35er-Reihe (vor allem der 35 B mit 2,3-Liter-Kompressor) waren die weltweit erfolgreichsten Rennwagen der Zwanzigerjahre; ein besonders braver Statistiker kann insgesamt 1826 Siege dieser Type nachweisen

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