Der Kampf der Supermärkte um Grund und Boden

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Nirgends in Europa gibt es mehr Supermärkte als in Österreich. Experten warnen, Böden zuzubetonieren, will sich das Land weiter selbst versorgen. Die Händler aber fühlen sich unfair beschränkt – und wollen größere Filialen.

Wien. Es kam wie vieles aus Amerika. Das Shoppingcenter, das in den Siebzigern vor den Stadttoren eröffnete, fischte dem kleinen Greißler im Ort die Kunden ab. Also schränkte der Landesgesetzgeber die Flächen des Großen per Gesetz ein.

Heute ist der Greißler und mit ihm oft der Ortskern trotz aller Mühen von Gesetzgeber und Politik tot oder liegt im Sterben – zerrieben zwischen Supermarktketten und geändertem Einkaufsverhalten. Sie haben das Ziel deutlich verfehlt, sagt der Linzer Rechtsprofessor Michael Mayrhofer. „Aber das Gesetz will noch immer den Kaufmann ums Eck vor den großen Einkaufszentren auf der grünen Wiese schützen.“

Mayrhofer ist einer von mehreren Experten, die vom Handelsverband mit einer Aufgabe betraut wurden: Sie sollen zeigen, wie veraltet, unsinnig – und für die Supermärkte kostspielig – die Raumordnung (in neunfacher Ausführung, da Ländersache) heute ist. Sie fordern „idealtypische Standorte“. Das heißt: viele Parkplätze, gute Anbindung, breite Gänge und große Verkaufsflächen um die 1000 m², die einige Raumordnungen von vornherein ausschließen. Und diese Wunschsupermärkte müssten auch auf der grünen Wiese erlaubt sein, da die Ortszentren für die motorisierte Kundschaft mit dem Wochenendeinkauf oft nicht geeignet sind. Eine halbe Mrd. Euro Bruttowertschöpfung und fast 7000 Jobs würde die flexiblere Bebauung bringen.

Wirft man einen Blick auf die Daten, findet man keine Anzeichen, dass die Branche seit den Siebzigern stark unter der Raumordnung gelitten hat: Die Ketten haben heftig expandiert, die drei Großen Rewe (Billa, Merkur), Spar und Hofer dominieren heute 84 Prozent des Markts und damit die Beziehung zu Lieferanten, Kunden und Großhändlern. Aber sie sind nervös: Neue Konkurrenz wie Amazon ist da und unterliegt nicht ihren Spielregeln. Dabei befeuerten gerade Onlinehändler das Sterben der Ortskerne, sagt Handelsverband-Chef Rainer Will.

Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung, sieht den Wunsch der Branche skeptisch. „Österreich ist mit 1,66 m² Supermarktfläche pro Kopf Europameister.“ Gleichzeitig vergreisen die Ortskerne, weil die Geschäfte durch die Ansiedelung der Supermärkte am Rand nicht mehr überlebensfähig sind. Diese „Fehlentwicklung“ gehöre korrigiert.

30 Fußballfelder pro Tag verloren

Weinberger warnt, Österreichs Böden weiter im aktuellen Tempo – 30 Fußballfelder am Tag – zuzubetonieren. „Wenn wir so weitermachen, gibt es in 200 Jahren keine Äcker mehr in Österreich.“ Und das sei nicht nur für Hagelversicherer, sondern auch für die Selbstversorgungsfähigkeit des Landes eine schlechte Nachricht. „Jeder Europäer braucht 3000 m² Anbaufläche, 1400 m² liegen bei uns schon im Ausland, weil sie in Österreich verschwunden sind.“

Die Händler betonen, dass sie mit ihren Kritikern mehr gemein hätten, als es auf den ersten Blick scheine: Auch sie wollten die Ortskerne retten, die Landflucht stoppen. So ein „idealtypischer Standort“ helfe, Beschäftigung und Wertschöpfung anzuziehen. Würde die Raumordnung modernisiert, könnte man auch leer stehende Gebäude „mutiger nützen“, sagt Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider von der Uni Linz. „Wir sagen ja nicht, dass es automatisch das Beste ist, auf der grünen Wiese außerhalb des Orts zu bauen. Vieles wäre in der Nähe des Ortskerns in leer stehenden Gebäuden möglich.“

Dieser Leerstand wird in Österreich auf 40.000 Hektar geschätzt. Meine man es ernst mit seiner Wiederbelebung, brauche es ein Anreizsystem, sagt Weinberger. Denn ohne Zuschüsse wird es immer teurer bleiben, alte Gebäude umzubauen als auf der grünen Wiese frisch von vorn zu beginnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2018)

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