Nachruf auf Ignaz Kirchner: Ein Meister des Dunklen

Ignaz Kirchner lächelt charmant, etwas Seltenes! 2011 spielte er den Biologen Sartorius in „Solaris“ von Stanislaw Lem: Stalinismus-Kritik verpackt in Sci-Fi.
Ignaz Kirchner lächelt charmant, etwas Seltenes! 2011 spielte er den Biologen Sartorius in „Solaris“ von Stanislaw Lem: Stalinismus-Kritik verpackt in Sci-Fi. (c) REUTERS (Herwig Prammer)
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Ignaz Kirchner starb mit 72 Jahren. Mit Gert Voss bildete er die Säule des Peymann-Theaters. Als Schauspieler war Kirchner selbst ein Klassiker.

Von wegen Nachwelt! Höchstens drei Monate lang flicht die Nachwelt noch irgendwelche Kränze. „Aus!“ So sprach Ignaz Kirchner 2015 zur „Welt“. Für ihn wird selbstverständlich eine Ausnahme gemacht. Dabei träumte der gelernte Buchhändler sich höchstens ans Bielefelder Theater. Seit 1987 war Kirchner Ensemblemitglied des Burgtheaters. Auf die Bühne sprang er nie, aber für die Zuschauer war sein Erscheinen ein Sprung. Obwohl die Peymann-Mimen anfangs aggressiv angefeindet wurden. Voss und Kirchner wurden Päckchen mit Exkrementen gesandt. Die Sehnsucht nach glatten Publikumslieblingen haben diese zwei nicht bedient. Kirchner etablierte sich bald im traditionsreichen Fach des Bösewichts, er war ein Meister des Bizarren und des Unheimlichen. Er war der Gegenspieler – und nie jung, nie strahlend und dennoch immer wieder verführerisch.

In „Othello“ in der Regie von George Tabori gab Kirchner den Jago, der den Feldherren in die Falle lockt. Im „Kaufmann von Venedig“ in der Regie von Peter Zadek spielte Kirchner einen leisen, tückischen Antonio. In Tschechows „Ivanov“, ebenfalls eine der grandiosen Zadek-Inszenierungen an der Burg, gab Voss den verzweifelnden Verführer und Kirchner den Arzt, der Ivanov, der seine kranke Frau verlässt, die Leviten liest.

Ödipus, Jago, Antonio und Schigolch

Voss und Kirchner konnten auch komisch sein: zum Beispiel in Thomas Bernhards „Elisabeth II.“. Voss redete unentwegt, Kirchner schwieg beredt, eine Gemeinheit, fand Voss später, der eine verausgabt sich, der andere macht bloß Pantomime, gerade diese – wie sich die beiden in Zeitlupe verhaken – bleibt für immer erinnerlich.

Kirchner und Voss machten sich auch einen kuriosen Jokus bei Genets „Zofen“ oder mit Becketts „Endspiel“, und sie erschütterten die Zwerchfelle in Taboris Schöpfungssatire „Goldberg-Variationen“. Während Voss durchaus von Zeit zu Zeit in aller Breite seine Wirkung auf das Publikum auskostete, blieb Kirchner immer eine Spur introvertiert, abgründig, seine Figuren waren von existenzieller Traurigkeit grundiert.

Eine seiner ersten großen Rollen am Burgtheater war der Ödipus, selten sah man einen über seine Schuld derart erschütterten König. Manchmal verströmte Kirchner Wärme, sein Schigolch in „Lulu“ war voll verdeckter Zuneigung, dieser verkommene Kerl liebte seine Kleine und konnte sie doch nicht beschützen. Andreas Kriegenburg zeigte bei diesem Wedekind eine Horde hechelnder Männer auf der Jagd nach einem Irrlicht, Natali Seelig spielte 1999 die Lulu in dieser irren „Monstertragödie“. Kirchners Schigolch war dieser Lulu einziger Anker.

Mit Direktoren schien Kirchner, der Unbequeme, der Unbestechliche, keine Probleme zu haben. Wahrscheinlich hatte der gebürtige Wuppertaler so eine Art Schmäh, der mit der Zeit sogar ein wenig wienerisch wurde. Einen Karriereknick gab es nicht, in seinem reichen Requisitenkoffer sublimer Charakterkunst fand sich für jeden Regisseur etwas. Kirchner war ein Monolith, der in vielen Facetten schillerte. Dabei blieb er eine unveränderliche Größe. Und nie machte er eine billige Nummer aus seiner Aura.

Widerspenstige, wissende Alte

In Matthias Hartmanns gewaltiger Show über Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ im Kasino spielte Kirchner den Fürsten Bolkonski. In dieser bildstarken, aber auch etwas übereifrig auf Effekt konzentrierten Aufführung enthüllte Kirchner ein altes System, sein Bolkonski blieb noch im Wahn ein Bollwerk. Als unbeirrbarer Alter, der sich stur weigert, sein Schicksal der Jugend anzuvertrauen, begeisterte Kirchner in „Macht der Finsternis“ (noch einmal: Tolstoi, Antú Romero Nunes inszenierte). „Ein Nackter zerlegt die Burg“, titelte der ORF 2012 über Joachim Meyerhoff, der als Robinson das Burgtheater demolierte, in einer witzigen Inszenierung von Jan Bosse. Kirchner spielte Robinsons Gefährten Freitag, einen „Wilden“, der sich vom Schamanen zum stummen, argwöhnischen Trabanten des Eindringlings entwickelt. Dabei war ein wesentliches Element von Kirchners Kunst stets die Sprache.

Der Zögling eines Jesuiteninternats aus schwierigen familiären Verhältnissen gehörte nie dem heutigen Performancebetrieb mit seiner Körperkunst an. Kirchners Universum war das Wort. Bis ins fortgeschrittene Alter beherrschte er gewaltige Textmengen. Er erschuf Figuren aus der Sprache, er war intelligent, ein Vermittler, er lebte für und im Theater. Soloabende widmete er Pessoas „Buch der Unruhe“ und Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Nach langer Krankheit ist dieser hochgebildete Anarchist nun gestorben. „Immer an der Grenze der Verrücktheit“, heißt seine Biografie, „Tragikkomiker“, ein Bildband mit Martin Schwab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2018)

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