Felderer-Rückzug: Der leise Abschied eines eindringlichen Mahners

Bernhard Felderer.
Bernhard Felderer.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Doyen unter Österreichs Ökonomen gibt die Leitung des Fiskalrats vorzeitig ab. Vermutlicher Nachfolger ist Gottfried Haber.

Wien. Das geduldige Vorrechnen hat er zur Meisterschaft gebracht, vor störrischen Politikern wie vor wissbegierigen Journalisten. Ein letztes Mal in offizieller Funktion übte sich Bernhard Felderer darin am Freitag: So vielen Einladungen habe er zugesagt, einem Sabbatical in Argentinien, einem nochmaligen Gastspiel an der US-Universität von Chapel Hill – „Wenn ich das alles zusammenrechne, muss ich 110 Jahre alt werden“. Und obwohl er auch mit 77 keine Probleme mit der Gesundheit habe, sollte man sich in einem solchen Alter „fragen, was man mit der knappen Zeit noch macht“. Deshalb zieht sich der Doyen unter Österreichs Ökonomen ein Jahr vor Ablauf seines sechsjährigen Mandats von der Spitze des Fiskalrats zurück.

Übergabe „demnächst“

Die Regierung will „demnächst“ einen Nachfolger bestellen. Laut Insidern soll künftig Gottfried Haber das Gremium leiten, das über die Einhaltung der EU-Sparvorgaben für Österreich wacht. Der Ökonom, der an der Donau-Uni Krems lehrt, gilt als ÖVP-nahe und war 2014 schon kurz als Finanzminister im Gespräch.

Geht Felderer mit Wehmut? „Fragen Sie nicht noch einmal, sonst sehen Sie Tränen.“ Lieber packt der Professor aus Kärnten noch ein paar Zahlen aus: Seit seinem 20. Lebensjahr gilt seine Leidenschaft der Volkswirtschaftslehre, mit 33 habilitierte er sich, dann forschte und lehrte er in den USA und Deutschland. Mit 49 kam er ans IHS (Institut für Höhere Studien), das er 21 Jahre lang leitete, bis 2012. Nicht im akademischen Elfenbeinturm, sondern als einer, der den Politikern kräftig auf die Finger klopft. Die Regierungen und ihre Finanzminister kamen und gingen, der Berater Felderer blieb. Beharrlich mahnte er solide Staatsfinanzen ein, auch als Mitglied im Generalrat der Nationalbank und als Leiter des Staatsschuldenausschusses, aus dem dann 2013 der Fiskalrat wurde.

Dass bei Schulden, Budgetdefizit und Stabilität der Banken heute „alles viel besser aussieht“ und wir einer neuen Krise „viel ruhiger entgegensehen können als 2008“, darf sich Felderer zu einem nicht ganz kleinen Teil anrechnen lassen. Zum Abschied hat sein Team kalkuliert, wie treffsicher die Budgetprognosen des Fiskalrats sind. Das Ergebnis war „viel besser, als wir befürchtet haben“ – die Abweichung liegt im Schnitt unter einem halben Prozentpunkt, die Qualität damit gleichauf mit den Schätzungen des Finanzministeriums und der EU-Kommission.
Was nicht nur internes Schulterklopfen auslösen soll: Die Empfehlungen der Kontrolleure sind umso ernster zu nehmen, je näher sie an der Realität dran sind.

Dass Felderer an der Wirtschaftspolitik der Republik mitwirken durfte, empfindet er als „besonderes Privileg“. Nachfolgenden Generationen an Ökonomen empfiehlt er, öffentliche Führungspositionen nicht zu scheuen. Denn je weiter oben man ist, „desto mehr erfährt man“. Und kennt dann wie Felderer die Wunden, in die man den Finger legen muss. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2018)

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