Radfahren für den Frieden als Vision

Gerhard Schönbacher erlangte einst als Tour-Letzter Bekanntheit. Für die Heim-WM in Tirol stellt sich der deklarierte TV-Fan wieder an die Strecke und rührt für sein Radrennen im Nahen Osten eifrigst die Werbetrommel.

Innsbruck. Eigentlich verfolgt Gerhard Schönbacher Radrennen nur noch im Fernsehen. „Wenn ich im Ziel stehe, sehe ich nichts und muss auch auf den Bildschirm schauen“, erklärt der 64-Jährige und lacht. „Vielleicht hat es sich einfach abgenützt. Wenn man selbst mitfährt, ist man immerhin der Grund, warum die Leute kommen.“ Neun Jahre lang tourte der Steirer mit dem Radzirkus um die Welt, Bekanntheit verschafften ihm ausgerechnet seine beiden letzten Plätze bei der Tour de France 1979 und 1980.

Nie hätte sich Schönbacher damals ausgemalt, dass er noch heute vor allem in Belgien oder den Niederlanden, seinen früheren Wohnorten, erkannt wird. Auch die jährlichen Anrufe diverser Zeitungen bleiben nicht aus. „Dabei erzähle ich seit 40 Jahren das Gleiche“, scherzt er. Nachdem er 1979 erstmals die „Laterne Rouge“ ins Ziel gebracht hatte, schaukelte sich die folgende Auflage zum Duell mit dem damaligen Tour-Direktor auf. Der Marc-Profi umging jedoch geschickt dessen Schikanen und durfte sich erneut als Letzter feiern lassen.

„Das ist das Besondere: dass das Reglement wegen eines einzigen Fahrers, noch dazu des Letzten, geändert wurde“, sagt Schönbacher und hält fest: „Heute wäre das nicht mehr möglich, da hat keiner diese Freiheiten, dafür ist zu viel Geld im Spiel. Kein Team nimmt mehr einen Fahrer mit, damit er Letzter wird.“ Für ihn war es hingegen ein kalkuliertes Tauschgeschäft: Helferdienste mit gewissen Freiheiten gegen Anreise und Spesen – so schaffte er es trotz fehlender Verbandsunterstützung auch zu sieben Weltmeisterschaften. „Ich bin, glaube ich, nur ein Mal ins Ziel gekommen und habe immer auf den Falschen gesetzt“, erinnert sich der Ex-Profi.

Sport als Brückenbauer

31 Jahre nach seiner letzten WM-Teilnahme macht Schönbacher für die Titelkämpfe in Tirol nun eine Ausnahme und verfolgt das Straßenrennen der Frauen heute live neben der Strecke. Zuvor hat er sein jüngstes Projekt vorgestellt: Im März 2019 findet die erste Auflage der Middle East Tour – Cycling for Global Peace im Nahen Osten statt. In sechs Etappen wird von Amman, Jordanien, auch durch das Palästinensergebiet bis ins Ziel nach Jerusalem in Israel geradelt, das Rennen ist offen für alle – aktive Profis ausgenommen. Als Organisator des Mountainbike-Rennens Crocodile Trophy wurde er auf die Idee eines Rennens in der Region aufmerksam gemacht. „Ich war sofort Feuer und Flamme.“

Schönbacher bereiste die Länder, traf Vertreter aus Politik, Sport und Tourismus. Geduld musste er lernen, aus geplanten zwei Jahren Vorbereitungszeit wurden vier. An der Vision hat das nichts geändert. Es gelte, den Sport nicht nur als Unterhaltung, sondern Mehrwert für die Gesellschaft zu nutzen. „Nelson Mandela hat gesagt: ,Sport has the power to change the world.‘ Das glaube ich auch.“ (swi)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2018)

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