Die populistische Regierung verlässt den Sanierungspfad und lässt den Schuldenberg weiter wachsen. Finanzminister Tria verliert seine Autorität und das Vertrauen der Investoren.
Wien/Rom. Für Luigi Di Maio war es ein „historischer Tag“. Der Vizepremier von der Fünf-Sterne-Bewegung glaubt, dass er mit dem Donnerstagnacht beschlossenen Budgetentwurf einen „Haushalt des Volkes“ durchgesetzt hat, durch den „die Armut in Italien abgeschafft wird“. Neben solch triumphalen Tönen wirkt die Reaktion von EU-Wirtschaftskommissar Moscovici nur wie ein leises Echo: „Ein Land, das sich verschuldet, verarmt.“ Dabei fürchten nicht wenige, dass der Tag dieser Einigung als Startpunkt einer neuen, noch viel schwereren Eurokrise und damit als Anfang vom Ende der Einheitswährung in die Geschichte eingehen könnte.
Was auf den ersten Blick maßlos übertrieben scheint. Mit 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung bleibt das für 2019 geplante Defizit unter der Maastricht-Grenze von drei Prozent und weit unter den ersten Horrorvisionen – eine sofortige, komplette Umsetzung aller Wahlversprechen der linken und rechten Populisten hätte Mehrausgaben und Einnahmeausfälle von über 100 Mrd. Euro und ein Defizit von über sechs Prozent ergeben. Nun summieren sich die teuren Wohltaten auf „nur“ rund 40 Mrd. Dazu gehören ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Arbeitslosen, die Senkung des Pensionsantrittsalters von 67 auf (bis zu) 62 Jahre, ein großes Investitionspaket und eine Flat Tax, in deren Genuss aber vorerst nur Selbstständige und Kleinunternehmen kommen.
Vergleiche zeigen: Spanien, Portugal und Frankreich hatten in den vergangenen Jahren meist höhere Defizite, ohne dass heftiger Streit mit Brüssel oder Turbulenzen auf den Finanzmärkten zu befürchten waren. Wird hier politisch mit zweierlei Maß gemessen?
Anfälligkeit Italiens steigt
Auf den zweiten Blick zeigt sich, wie unterschiedlich die ökonomischen Voraussetzungen sind. Italiens Schuldenberg ist mit 132 Prozent des BIPs nach Griechenland der höchste in Europa. Ein solches Schuldenniveau macht einen Staat extrem anfällig – ein Konjunktureinbruch, eine Zinserhöhung oder eine Ratingabstufung können genügen, um Anleiheinvestoren in die Flucht zu treiben und die Zahlungsfähigkeit infrage zu stellen.
Es müsste also oberste Priorität sein, die Schuldenquote zumindest stagnieren zu lassen. Dafür reicht die Einhaltung der Drei-Prozent-Grenze beim Defizit nicht aus. Aus gutem Grund liegt die Vorgabe der Stabilitätswächter für Italien bei unter zwei Prozent. So wäre einigermaßen gesichert, dass der Primärsaldo vor Abzug von Zinsen positiv bleibt. Für diesen Fall halten viele Ökonomen und Investoren auch sehr hohe Schuldenstände noch für tragfähig.
Diese Schwelle hat die Regierung nun provokant überschritten. Nicht nur für ein Jahr, sondern gleich für die zwei folgenden auch. Damit dokumentieren die neuen Herrn in Rom, dass sie den Pfad der Konsolidierung dauerhaft verlassen wollen. Außerhalb von Krisenzeiten, in einer Phase, in der andere Sorgenkinder der Eurozone ihre Defizite kräftig zurückfahren. Während der Krise ließ Brüssel ihnen höhere Negativsalden durchgehen, um nötige Reformen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, abzufedern. Dass die Populisten in Rom nun auch solche Reformen rückabwickeln, verdüstert das Bild weiter.
Anleihenkurse brechen ein
Der große politische Verlierer ist Finanzminister Giovanni Tria. Der parteilose Ökonom hatte bis zuletzt versprochen, kein Defizit über 1,6 Prozent zuzulassen. Dass sich Di Maio und Lega-Chef Salvini gegen ihn durchsetzen, untergräbt seine Autorität und das Vertrauen, das die Investoren auf seinen mildernden Einfluss gesetzt hatten. Aber er tritt nicht zurück, vermutlich, um ein größeres Erdbeben zu vermeiden. Schon so haben italienische Staatsanleihen am Freitag um zehn Prozent an Wert verloren.
Was vielleicht nur ein Vorgeschmack ist, geht es doch bisher erst um einen groben Budgetentwurf. Auch die Reaktionen der Ratingagenturen stehen noch aus. Am wenigsten dürften die Rebellen aus Brüssel zu fürchten haben. Moscovici bleibt trotz der „explosiven Verschuldung“ bei sanften Tönen: An einem Konflikt mit Italien habe er „keinerlei Interesse“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2018)