Türkei/Deutschland: Diese Eiszeit ist noch nicht vorbei

Recep Tayyip Erdoğan trifft bei seinem dreitägigen Staatsbesuch gleich zwei Mal Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der erste Auftritt verlief nicht friktionsfrei.
Recep Tayyip Erdoğan trifft bei seinem dreitägigen Staatsbesuch gleich zwei Mal Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der erste Auftritt verlief nicht friktionsfrei.(c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Recep Tayyip Erdoğan und Angela Merkel versuchten, ihre „tief greifenden Differenzen“ zu beseitigen. Wie heikel dieses Vorhaben ist, zeigte ein gemeinsamer Auftritt.

Berlin. Es gibt viel Pomp, es gibt viel Prunk, genau so, wie es Recep Tayyip Erdoğan gewünscht, ja wie er es erwartet hatte. Und doch verzieht der türkische Präsident bei seinem offiziellen Staatsbesuch mit militärischen Ehren in Berlin keine Miene. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) empfängt ihn auf dem roten Teppich? Finsterer Blick. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bittet ihn zu einem Vier-Augen-Gespräch beim Mittagessen? Mundwinkel nach unten.

Nur beim öffentlichen Auftritt der beiden Regierungschefs im Anschluss muss Erdoğan kurz grinsen. Der türkische Reporter Ertugrul Yigit sitzt in der ersten Reihe und trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Freiheit für Journalisten in der Türkei.“ Zu viel Protest für eine Pressekonferenz: Die Sicherheitskräfte führen den Mann ab. Am Nachmittag sollten noch Zehntausende Menschen gegen den Besuch demonstrieren.

Dass Erdoğan und Merkel überhaupt gemeinsam auftraten, ist keine Selbstverständlichkeit. Aus mehreren Gründen. Einer kommt nur wenige Stunden vor dem Termin auf: Der türkische Journalist Can Dündar, in Deutschland im Exil, kündigt seine Teilnahme an. Daraufhin will Erdoğan laut Medienberichten seinen Auftritt absagen. Am Ende kommt Dündar nicht, der türkische Präsident richtete ihm eine Botschaft aus: Er sei ein „Agent“, der Staatsgeheimnisse ausgeplaudert hatte. Deutschland müsse ihn an die Türkei ausliefern – gemeinsam mit 68 anderen „Terroristen“.

Annäherung nach der Krise

Ein anderer Grund liegt weiter in der Vergangenheit zurück. Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vor zwei Jahren verschlechterten sich die Beziehungen massiv, als deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen verhaftet wurden. Vor einem Jahr verglich Erdoğan Aussagen der deutschen Regierung mit Nationalsozialismus, türkische Zeitungen zeigten Merkel als „Frau Hitler“. Dieselbe Frau, der Erdoğan am Freitag mehrmals für den Empfang im Kanzleramt dankte.

Was war in der Zwischenzeit geschehen? Die türkische Lira hat in diesem Jahr rund 40 Prozent an Wert verloren, Investoren ziehen Geld ab, die Beziehungen zu den USA verschlechtern sich zunehmend. Je weiter sich Ankara von Washington entfernt, desto eher sucht Erdoğan die Nähe zu Europa. Dafür muss er die frostigen Beziehungen zwischen seiner und der deutschen Regierung allerdings erst auftauen lassen.

Die geschwächte Position Erdoğans wird in Berlin als Chance gesehen, wieder eine funktionierende Gesprächsbasis herzustellen. Die Bundesrepublik braucht eine politisch stabile Türkei: Ökonomisch sind die Länder eng verflochten, Ankara spielt in der Flüchtlingskrise eine wichtige Rolle für Europa. Außerdem hofft die Regierung, ihre Anliegen in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten anbringen zu können.

Eine „ernste Atmosphäre“

Doch Berlin wollte die Erwartungen nicht allzu hoch schrauben: „Dieser Besuch ist kein Ausdruck von Normalisierung. Davon sind wir weit entfernt. Aber er könnte ein Anfang sein“, sagte Steinmeier im Vorfeld. Auch nach dem Empfang in „ernster Atmosphäre“ hieß es: Man könne nicht zur Tagesordnung übergehen. Merkel machte ebenfalls bei dem gemeinsamen Auftritt mit Erdoğan klar, dass es „tief greifende Differenzen“ gebe, vor allem „bei Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit“.

Fünf deutsche Staatsbürger seien noch immer in der Türkei inhaftiert. Erdoğan verlangte wiederum die Auslieferung von Anhängern der Gülen-Bewegung, die er für den Putschversuch verantwortlich macht.
Weitere Gespräche sollten am Freitagabend bei einem Staatsdinner folgen – mehrere Oppositionspolitiker sagten aber ihre Teilnahme ab. Auch Merkel war nicht dabei, dafür war für Samstag ein Frühstück mit Erdoğan geplant. Ein weiterer Versuch, der Normalität ein Stück näherzukommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2018)

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