Indonesien: Hat Tsunami-Warnsystem versagt?

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Nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe auf der Insel Sulawesi nimmt die Kritik an den Behörden zu: Das Frühwarnsystem funktioniere seit Jahren nicht lückenlos.

Palu/Wien. Das volle Ausmaß der Naturkatastrophe, die Indonesiens viertgrößte Insel Sulawesi erschütterte, war auch Tage später noch nicht klar: Die Behörden befürchteten, dass Tausende Menschen ums Leben gekommen sein könnten. Offiziell wurde die Totenzahl am Montag auf 844 angehoben, nachdem die Leichen von 34 Kindern, die an einem Bibelcamp teilgenommen hatten, aus Trümmern geborgen worden waren.

Nun wird die Kritik an den Behörden immer lauter: Das Tsunami-Frühwarnsystem, das den Menschen in den betroffenen Regionen eine rechtzeitige Flucht in sichere Gebiete ermöglichen sollte, funktioniere seit Jahre nicht lückenlos. Diesen Vorwurf hat ein Sprecher der Katastrophenbehörde erhoben. Von chronischer Unterfinanzierung und von Kaputtsparen ist nun die Rede.

Messstationen kaputt

Was genau war am Freitag passiert? Was war versäumt worden? Um 18:03 Uhr (Ortszeit) erschütterte ein Seebeben der Stärke 7,5 die Küstenregion nahe der 330.000-Einwohner-Stadt Palu auf Sulawesi. Kurz darauf gaben die Behörden eine Tsunami-Warnung heraus: Es sei damit zu rechnen, dass zwischen 0,5 und drei Meter hohe Wellen die Küste erreichen. Um 18:25 Uhr prallte eine sechs Meter hohe Welle mit voller Wucht auf Palu und riss Menschen, Häuser, Autos mit sich. Warnsirenen waren nicht zu hören, das SMS-Warnsystem funktionierte nicht, weil die Telefonnetze zu diesem Zeitpunkt zusammengebrochen waren. Um 18:37 Uhr gaben die Behörden wieder Entwarnung.

Die Tsunami-Warnung wurde zu früh wieder aufgehoben. Sie erreicht zu wenige Menschen. Und mit ihren Prognosen waren die Behörden falsch gelegen: Laut Warnsystem war man von einem kleinen Tsunami ausgegangen und nicht von einer großen Welle mit solch zerstörerischer Kraft. Laut der zuständigen Behörde für Meteorologie, Klimatologie und Geophysik (BMKG) wurden die Standards genau eingehalten. Man habe die Entscheidungen basierend auf den vorliegenden Daten getroffen.

Und genau hier dürfte das Problem liegen: Die Daten haben sich als nicht zuverlässig herausgestellt. Mindestens 22 Messstationen sind entweder zerstört, verschwunden oder wurden nie gewartet oder repariert. Im Falle von Palu liegt die nächste Messstation etwa 300 Kilometer südlich der Stadt, zu weit entfernt, um verlässliche Daten zu liefern.

Nach der schlimmen Tsunamikatastrophe von 2004, als rund eine viertel Million Menschen starb, installierte Indonesien ein gemeinsam mit deutschen Experten entwickeltes Tsunami-Frühwarnsystem. Nicht noch einmal sollte so eine Naturkatastrophe passieren. Nach einem Erdbeben liefern rund 300 Messstationen an Land Daten. Dazu kommen Schwimmbojen im Meer, die Alarm schlagen, wenn der Meeresspiegel plötzlich steigt oder fällt.

Zusätzlich sind Messgeräte am Ozeanboden im Einsatz, die jede Veränderung registrieren. So kann eine Riesenwelle sofort nach Entstehung bemerkt werden. Die Daten werden per Satellit an das Warnzentrum in Jakarta geleitet. Diese übernimmt binnen Minuten die Alarmierung via Telefon, SMS oder Satellitentelefonen in den betroffenen Gebieten. Dort wird die Bevölkerung per Lautsprecher oder Sirenen gewarnt. So zumindest sieht der Katastrophenplan in der Theorie aus. Eine Modernisierung des Systems zieht sich bereits über Jahre.

Wettlauf gegen die Zeit

Die Suche nach Überlebenden wird immer mehr zu einem verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit. Einsatzkräfte hatten es schwer, in alle Ortschaften in der stark betroffenen Küstenregion Donggala zu gelangen. Oft fehlt schweres Räumgerät, um Überlebende aus eingestürzten Gebäuden zu bergen. In den meisten Gebieten gibt es noch keinen Strom. Die Behörden ordneten Massenbeisetzungen der Toten an. Verzweifelte Bewohner plünderten Geschäfte auf der Suche nach Essen und Wasser.

Nach Schätzungen der UNO benötigen 191.000 Menschen Nothilfe. Indonesiens Präsident Joko Widodo hat um internationale Hilfe gebeten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2018)

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