Die Regierung plant 2020 eine Steuerreform. Davor muss aber erst gespart werden, fordern Wifo und IHS.
Wien. Es ist ein eingespieltes Ritual: Wenn die Wirtschaftsforscher ihre Konjunkturprognose vorlegen, dann kommen erst die nackten Zahlen – und anschließend die Mahnungen an die Politik. So auch am Freitag: „Entschuldigen Sie, ich muss es noch einmal sagen. Es ist die Zeit der Reformen“, sagte Christoph Badelt, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). Noch läuft es gut mit der Konjunktur. Aber der Aufschwung hat seinen Höhepunkt hinter sich. Heuer wächst das Bruttoinlandsprodukt noch einmal um drei Prozent, nächstes Jahr dann aber deutlich weniger (siehe Grafik).
Daher auch die mahnenden Worte an die Regierung. Diese hat sich nämlich für 2020 eine große Steuerreform auf die Agenda gesetzt – aber nicht dazugesagt, wie sie diese finanzieren will. Man dürfe sich nicht auf die gute Konjunktur verlassen. „Den Spielraum muss man sich erst erarbeiten“, so Badelt.
2019 erwarten die Institute einen Budgetüberschuss von etwa 800 Mio. Euro. Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien, sieht aber drei bis fünf Mrd. Euro als Untergrenze für eine Steuerreform. Reformen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Pensionen und Föderalismus müssten deshalb rasch angegangen werden, damit sie bis 2020 zu wirken beginnen. Die geplanten Sozialreformen bei Mindestsicherung und Arbeitslosengeld werden den Bedarf laut Badelts Einschätzung jedenfalls nicht decken.
Mehr Unsicherheiten
Heuer wächst die österreichische Volkswirtschaft aber noch deutlich stärker als die deutsche: Dort senkten die Wirtschaftsforscher ihre Prognose jüngst auf 1,7 Prozent. Wifo und IHS senken ihren Ausblick nur geringfügig um je 0,2 Prozentpunkte pro Jahr. Und auch nur deshalb, weil die Statistik Austria vor Kurzem das Wachstum für die Jahre davor stark nach unten korrigiert hat (die „Presse“ berichtete) und damit das Ausgangsniveau niedriger ist. „Das Konjunkturbild hat sich nicht verändert“, so Badelt.
Dass Österreich im internationalen Vergleich noch gut dasteht, ist zum einen dem Wachstum in Mittel- und Osteuropa zu danken, erklärt Wifo-Ökonom Marcus Scheiblecker. Die Region wächst stärker als erwartet und treibt die österreichischen Exporte an. Zweitens hat in Österreich auch der Aufschwung später eingesetzt als im Rest der Eurozone. „Deshalb kommt jetzt auch der Abschwung etwas später“, so Scheiblecker.
Aber nächstes Jahr trübt sich der Welthandel aufgrund von Brexit, Handelsstreits und Wechselkursschwankungen ein, und damit auch die österreichischen Exporte. Die Unternehmen werden weniger investieren. Die Österreicher dürften zwar fleißig weiterkonsumieren – auch gestützt durch den Familienbonus, der laut Badelt mit 1,3 Mrd. Euro zu Buche schlägt. Trotzdem bleibt unterm Strich weniger Wachstum übrig.
Zu viele Arbeitslose
Ein gröberes Problem sehen die Wirtschaftsforscher auf dem Arbeitsmarkt. „Die Arbeitslosigkeit ist höher, als es sozial und gesellschaftspolitisch wünschenswert ist“, so Badelt. Die Beschäftigung steigt zwar auch 2019 weiter und die Arbeitslosigkeit sinkt – aber nicht mehr so stark wie heuer. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich seit 2007 auf 119.000 verdreifacht. Gleichzeitig klagen Firmen über fehlende Arbeitskräfte. Dieser „Mismatch“ deutet auf „strukturelle Schwächen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt hin“, so das IHS. Gäbe es nicht das Problem, dass vielen Arbeitslosen die nötigen Qualifikationen fehlen, würde die Arbeitslosigkeit „viel stärker zurückgehen“, so Kocher. (bin)
AUF EINEN BLICK
Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute senkten ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum 2018 vorige Woche von 2,2 auf 1,7 Prozent. Medienberichten zufolge wird die Bundesregierung kommende Woche ebenfalls ihre Prognose revidieren. Auch die österreichischen Institute Wifo und IHS senkten ihren Ausblick in der am Freitag präsentierten Herbstprognose leicht: Das Wifo rechnet für heuer mit drei Prozent und das IHS mit 2,7 Prozent Wirtschaftswachstum (zuvor: 3,2 bzw. 2,9 Prozent). Für 2019 rechnet das Wifo nun mit zwei Prozent (statt zuvor 2,2) und das IHS unverändert mit 1,7 Prozent.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2018)