„Vielleicht kaufe ich mir einen Maßanzug und ein Krönchen“

Zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Wochen tritt Christian Kern in der Wiener Löwelstraße ab – diesmal aber endgültig und für immer.
Zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Wochen tritt Christian Kern in der Wiener Löwelstraße ab – diesmal aber endgültig und für immer. (c) Daniel Novotny
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Zehn Jahre wollte Christian Kern in der Politik bleiben. Geschafft hat er gerade einmal etwas mehr als zwei Jahre. Gescheitert sei er unter anderem an den Intrigen „hüben und drüben“.

Es ist ein ungewöhnliches Bild für einen bevorstehenden Rücktritt eines Politikers. Vor der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße drängen sich keine Fotografen, und es kämpfen auch keine Kamerateams um den besten Platz. Als Christian Kern an diesem Samstag knapp vor 12.30 Uhr in einem schwarzen Mercedes-Taxi vorfährt, hat ein Kameramann des ORF, der zu spät gekommen ist, exklusiv die Bilder des eintreffenden ehemaligen Parteichefs für sich.

Einzigartig ist die Aufnahme freilich nicht, alle anderen Medien können auf Archivbestände zurückgreifen. Denn das gestrige Bild unterscheidet sich wenig von dem, das die Traube an Fotografen und Kameramännern vor zweieinhalb Wochen gemacht hat. Damals, am 18. September, verkündete Kern in einer „persönlichen Erklärung“ seinen Abschied als Parteichef der SPÖ. Stattdessen werde er als Spitzenkandidat in die EU-Wahl gehen. Am Samstag verkündete er in einer weiteren persönlichen Erklärung, dass er doch nicht Spitzenkandidat für die EU-Wahl wird. Stattdessen werde er sich vollständig von der Politik verabschieden und kehre in die Wirtschaft zurück.

„Servus“, grüßt Kern den Fahrer von Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda, den man kurzfristig dazu verpflichtet hat, Türwächter zu spielen. So schnell konnte kein anderer Mitarbeiter organisiert werden. Denn die Parteispitze wurde vom vollständigen Rückzug Kerns dem Vernehmen nach ähnlich überrascht wie die Öffentlichkeit. Er habe „im Laufe der Woche“ Parteichefin Pamela Rendi-Wagner über seine Entscheidung informiert, erklärte Christian Kern später in der Pressekonferenz. Hochrangige Parteimitglieder erfuhren jedenfalls erst von der Eilt-Meldung der Austria Presse Agentur um 10.08 Uhr von der bevorstehenden Erklärung um 12.30 Uhr.

Natürlich gab es sofort wilde Spekulationen, warum er sich ausgerechnet jetzt zurückzieht, da er doch erst kürzlich auf Facebook wissen ließ: „Ich darf euch versichern, dass ich nun mit ganzer Energie und größter Leidenschaft dafür kämpfen werde, dass die SPÖ bei der kommenden Europawahl Erster und die Sozialdemokratie in Europa gestärkt wird.“ Christian Kern hat es nicht so mit seinen Versprechen.

Grund sei, dass man ihm auf EU-Ebene vermittelt habe, keine Chance zu haben, Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokratie bei der Europawahl zu werden. Das wissen die einen. Andere meinen, dass es wohl mit den Meinungsumfragen für die Europawahl nicht so gut aussehe für die SPÖ und dass Kern sicher nicht als einfacher Abgeordneter in Brüssel enden wolle.

Wieder andere sagen, dass ihn die Partei bewusst zermürbt habe, dass man mit ihm nicht in die Wahl gehen wollte, weil er durch die Vorgänge der vergangenen Wochen zu sehr beschädigt sei. Außerdem habe man ihm sein Projekt abgedreht, zusammen mit anderen Parteien – genannt wurden die Neos und die Grünen – eine Allianz und eine gemeinsame Bewegung für die Europawahl zu gründen.

Christian Kern selbst nennt in einer knapp dreizehnminütigen Erklärung mit anschließender 15-minütiger Pressekonferenz verschiedene Gründe, warum er sich die EU-Wahl nicht antun und sich vollständig aus der Politik zurückziehen wolle.

Freundlich könnte man es so zusammenfassen: Kern ist von der Innenpolitik enttäuscht. Er hatte Größeres geplant, aber die Intrigen, die internen Kämpfe, die Anschüttungen des politischen Gegners machten seine guten Vorhaben zunichte.

Die weniger freundliche Version lautet so: Christian Kern ist zu gut für diese Innenpolitik, die nur „Klein-Klein“ kennt, wie er in der Pressekonferenz meinte, die seine Visionen und seinen Einsatz nicht zu schätzen weiß. Er ist eben nicht der Mann mit dem Bihänder, weil er sich andere Umgangsformen erworben hat. Das war seine Begründung vor zweieinhalb Wochen dafür, dass er sich als Oppositionschef von der SPÖ-Spitze zurückzieht. Kurz: Diese Innenpolitik hat jemanden wie Christian Kern gar nicht verdient.


Die „Schlacht der Schlachten“. Jetzt also auch der Abgang als EU-Spitzenkandidat der SPÖ, obwohl, wie Kern in der Pressekonferenz meint, „diese Europawahl die Schlacht der Schlachten wird, bei der sich die Zukunft unseres Kontinents entscheidet“. Es gehe nämlich gegen jene Kräfte, die die Idee eines gemeinsamen Europa zerstören wollten – „die Salvinis, Orbáns und Straches“.

Warum dann die Kapitulation, bevor die Schlacht überhaupt begonnen hat? Er habe die Erfahrung gemacht, dass es „als ehemaliger Regierungschef gar nicht möglich ist, die innenpolitische Bühne zu verlassen“. Er könne nie ausdrücken, was er bei der EU-Wahl erreichen wolle, weil es eben immer nur um die „Fortsetzung des innenpolitischen Klein-Kleins“ gehe. Alles stehe „im Lichte ständiger Kleinintrigen von hüben und drüben“.

Erlebt habe er in seiner Zeit auf der politischen Bühne, dass einem Politiker „Idealismus am wenigsten verziehen wird“. Wenn man für eine Sache kämpfen und über die Zukunft der EU diskutieren wolle, gehe es schnell nur noch um Posten. Es fehle ihm die Sucht, „ein politisches Amt um des politischen Amts willens auszuüben“.

Seiner Nachfolgerin an der Parteispitze wünschte er erneut „viel Erfolg“. Pamela Rendi-Wagner sei seine Wunschnachfolgerin gewesen, dafür habe es eine langfristige Personalplanung gegeben. Ihre Durchsetzung sei freilich nicht friktionsfrei gelaufen, dass das „mit Schrammen und Diskussionen einhergegangen ist, das ist zur Kenntnis zu nehmen“.


Zurück in die Wirtschaft. Was seine persönliche Zukunft angeht, liebäugelte Kern mit einer Unternehmensgründung. Details nannte er nicht. Er habe immer gesagt, kein Berufspolitiker sein zu wollen, so Kern. Das sei nun der Schlussstrich unter dieses Kapitel, und er sei „persönlich nicht ganz unfroh darüber. Es ist auch ein gewisses Maß an Erleichterung.“ Er freue sich nun, sein ursprüngliches Leben zurückzubekommen „und den Weg in Wirtschaft und Unternehmertum zurückzugehen“. Keinesfalls werde er vom Muppet-Balkon aus die Innenpolitik kommentieren, er werde aber als Privatperson seinen Beitrag für eine europäische Einigung und gegen Rechtsradikalismus und Obstruktion leisten.

Eigentlich hätte Kern ja nach den ursprünglichen Planungen der Partei vom Sommer an diesem Wochenende bei einem Bundesparteitag in Wels als SPÖ-Chef wiedergewählt werden sollen. Stattdessen zieht er sich bei dem auf den 24. November verschobenen Parteitag endgültig aus der Politik zurück. Aus dem oft wiederholten Ziel, er wolle zehn Jahre in der Politik bleiben, sind etwas mehr als zwei Jahre geworden. Die aber habe er „mit größter Freude“ betrieben. Doch der Bedarf an einer Fortsetzung der innenpolitischen Spielen sei „extrem begrenzt“.

Am Ende zeigt Christian Kern noch ein wenig Selbstironie und macht sich lustig über all die Geschichten, die sich um seine Eitelkeit und seine Dünnhäutigkeit gerankt haben. „Vielleicht mache ich mir eine Freude und kaufe mir einen Maßanzug und ein Krönchen.“

Er werde sich jedenfalls am Abend ein „ordentliches Glas Rotwein genehmigen“, weil man ja „einen guten Roten am Abgang erkennt“. Im Interesse seiner Geschmacksnerven ist ihm freilich eine Korrelation zwischen seinem Abtritt von der politischen Bühne und dem Rotwein nicht zu wünschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2018)

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