Ungarn-Visite. Der türkische Präsident kommt am Montag für zwei Tage nach Ungarn. Dort trifft er auch Premier Orbán, zu dem er gute Beziehungen pflegt. Bei dem Besuch geht es um Gasdeals – und um osmanische Geschichte.
Budapest.Der zweitägige Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sorgt in Budapest für Aufregung – nicht nur, weil er Verkehr in der Innenstadt eingeschränkt wird. Die Polizei ließ auch eine Gegendemonstration der linken Opposition verbieten, „weil eine unter internationalem Schutz stehende Persönlichkeit am Schauplatz eintreffen wird“.
Inhaltlich wird es um Gas, Geschichte und ein Grabmal gehen. Ungarns Premier Viktor Orbán vereinbarte mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau, dass Ungarn Anschluss an die geplante Gaspipeline „Turkish Stream“ bekommen kann. Russisches Gas soll über eine Pipeline in die Türkei strömen und von dort aus weiter nach Südosteuropa – was die jeweiligen Länder aber sowohl mit Russland als auch der Türkei aushandeln müssen. Politisch ist das Projekt brisant, weil die Pipeline die Ukraine umgehen würde. Kiew wäre dann leichter erpressbar: Wenn Gaslieferungen nach Europa nicht mehr über die Ukraine gehen, kann Moskau Kiew einfacher den Gashahn abdrehen. „Turkish Stream“ ist „Nachfolger“ der „South Stream“-Pipeline, die am Druck der USA und EU scheitert.
Unter Orbán verfolgt Ungarn eine pragmatische Politik der „Öffnung nach Osten“, wobei es vor allem um eine Ausweitung der Handelsbeziehungen geht. Die Türkei hat dabei eine besonders wichtige Rolle. Türkische Firmen investieren immer mehr in Ungarn – und ungarische immer mehr in die Türkei. Erdogan seinerseits versucht den Einfluss seines Landes überall dort auszuweiten, „wo einst unsere Vorahnen waren“ – also die Osmanen, die in Ungarn den westlichsten Punkt ihres Vordringens nach Europa erreichten. Orbáns und Erdogans Visionen ergänzen einander. Diese neue Nähe überdauert auch die Flüchtlingskrise, obwohl Orbán auf anti-islamische Rhetorik setzt.
Ein wichtiges Grabmal
Höhepunkt des Besuches wird die Einweihung eines aufwendig restaurierten Grabmals sein: Das Mausoleum von Gül Baba, dem „Vater der Rosen“. Der Dichter und Mystiker des Bektaschi-Ordens war 1541 in Buda gestorben, kurz nach der Einnahme durch die Osmanen. „Gül Baba war ein Kindheitsfreund von Sultan Süleyman, dem Prächtigen“, sagt Norbert Pap von der Universität Pécs. Der Überlieferung zufolge trug der Sultan persönlich Gül Babas Sarg zum Grab und ließ danach dort einen „Türbe“, ein Mausoleum, errichten. Der Türbe ist die nördlichste muslimische Wallfahrtsstätte in Europa. Bei Erdogans letztem Besuch vereinbarten die Regierungschefs, Gül Babas Türbe restaurieren zu lassen. Die Kosten – umgerechnet rund acht Mio. Euro – trug zur Hälfte die Türkei. Erdogan ließ es sich nicht nehmen, die Magyaren als „türkisches Volk“ und „Brüder“ zu bezeichnen.
Süleyman ist Erdogans historischer Lieblingsheld, Forschungen über sein Wirken in Ungarn führten auch dank türkischer Finanzierung zu neuen Erkenntnissen. Forscher fanden Süleymans Todesstätte in Südungarn und identifizierten den „Türkenhügel“, wo der Sultan vor der Schlacht von Mohács gebetet haben soll. Die Schlacht besiegelte den Untergang des ungarischen Königreichs. Das mag Erdogan vor Augen haben, wenn er den Türbe einweiht: „Die Stätte war für Osmanen Symbol der europäischen Landnahme und Mobilisierung im Kampf gegen die Ungläubigen“, so Pap.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2018)