Weltklimarat: Weltgemeinschaft muss Erderwärmung um zwei Grad verhindern

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Selbst bei einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad würde ein Großteil der Korallenriffe verschwinden, die Arktis einmal im Jahrzehnt eisfrei sein und der Meeresspiegel steigen. Auch Präsident Van der Bellen warnt vor "dramatischen Folgen".

Das globale Klima wird sich im Zeitraum von 2030 bis 2052 einem UN-Bericht zufolge ohne radikale Gegenmaßnahmen um 1,5 Grad Celsius erwärmen. Dies ist eine der Kernaussagen eines Sonderberichts des Weltklimarats IPCC, der am Montag im südkoreanischen Incheon veröffentlicht wurde. Das Erreichen genau dieses 1,5-Grad-Ziels ist demnach erforderlich, um schwerwiegende Folgen für das Leben auf der Erde noch zu vermeiden.

Und um diesen Wert nicht zu überschreiten, müsse bis 2050 der Anteil erneuerbarer Energie bei 70 bis 85 Prozent liegen, hieß es in dem am Montag veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarates der Vereinten Nationen (IPCC). Der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxid (CO2) müsse bis 2030 um rund 45 Prozent gegenüber dem Wert von 2010 reduziert werden. Zur Jahrhundertmitte müsse der Ausstoß unter dem Strich bei Null liegen. Gelänge dies nicht, müsse der Atmosphäre CO2 entzogen werden.

Grundlage für politische Entscheidungen

Angesichts des Sonderberichts hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Montag vor "dramatischen Folgen für unser Leben auf der Erde" gewarnt. "Die internationale Staatengemeinschaft ist gefordert, rasch, entschlossen und gemeinsam alles daran setzen, um wirksame Maßnahmen einzuleiten", schrieb er auf Twitter.

Der eindringliche Appell des Weltklimarates sei "ein klarer Weckruf. Wir müssen mehr tun als bisher." Die Weltgemeinschaft habe die nötigen technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, um die Klimakrise zu meistern. "Jetzt liegt es an uns, nachfolgenden Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen", betonte der Bundespräsident.

Der Bericht gilt als maßgebliche wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungen, wie das Klima-Abkommen von Paris umgesetzt werden soll. Im Klimaabkommen von Paris hatten sich die Länder Ende 2015 darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, wenn möglich sogar auf 1,5 Grad zu begrenzen. Letzteres hatten vor allem die kleinen Inselstaaten gefordert. US-Präsident Donald Trump hatte den Rückzug seines Landes aus dem Pariser Abkommen beschlossen.

Während jedoch früher davon ausgegangen wurde, dass bei einer Erwärmung um zwei Grad die Folgen der Erderwärmung noch halbwegs kontrollierbar sein dürften, äußern die Wissenschaftler daran nun deutliche Zweifel und drängen daher auf entschiedeneres Handeln. "Jede weitere Erwärmung, besonders über 1,5 Grad hinaus, vergrößert die Gefahr langanhaltender oder nicht mehr umkehrbarer Veränderungen so wie dem Verlust von Öko-Systemen", erklärte dazu der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe II des IPCC, der Kieler Klimaforscher Hans-Otto Pörtner.

Denn dem UN-Bericht zufolge würde sogar eine Begrenzung der Erwärmung auf maximal 1,5 Grad bedeuten, dass der Meeresspiegel bis 2100 um zehn Zentimeter niedriger ist als bei einer Erwärmung von zwei Grad. Eine eisfreie Arktis würde nur einmal im Jahrhundert wahrscheinlich sein und nicht mindestens einmal pro Jahrzehnt. Die Korallenriffe würden in diesem Szenario um 70 bis 90 Prozent absterben und nicht so gut wie komplett verschwinden.

2,1 Billionen Euro wären für Trendwende nötig

Die Kosten für das notwendige Umsteuern wären der Zusammenfassung des 400-Seiten-Berichts, an dem 91 Autoren aus 40 Staaten beteiligt waren, zufolge mit schätzungsweise 2,1 Billionen Euro weltweit allein im Energiesektor erheblich. Ohne dieses Umsteuern - auch in weiteren Sektoren wie Verkehr und Landwirtschaft - wäre aber mit weit höheren Kosten zu rechnen.

Die gute Nachricht: Die IPCC-Experten halten ein Erreichen des 1,5-Grad-Ziels "technisch und wirtschaftlich für möglich" - wenn der politische Wille dafür da ist. Der Bericht enthält dafür vier Szenarien mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten.

Möglich wären etwa eine drastische Verringerung des Energieverbrauchs oder auch erhebliche Verhaltensänderungen wie eine Verringerung des Fleischkonsums und der Abschied vom Verbrennungsmotor bei Autos. Andere Szenarien setzen stärker auf Techniken, um CO2 im großen Stil aus der Atmosphäre zu entfernen. Generell halten die Experten solche negativen Emissionen durch CDR-Verfahren (carbon dioxide removal) für weitgehend unverzichtbar, erst recht, wenn das CO2-Budget zeitweise überschritten werden sollte.

Falls der Mensch den Kohlendioxid-Ausstoß nicht schnell genug senkt, hoffen einige Experten auf andere Mittel zum Klimaschutz. Die meisten Techniken sind jedoch nicht im großen Maßstab erprobt, umstritten und bergen hohe Risiken. Der Weltklimarat ist in seinem neuen Report bei vielen zurückhaltend.

Pflanzen ziehen CO2 aus der Luft. Einige IPCC-Szenarien rechnen daher mit Aufforstung oder der Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme. Wälder hätten auch Vorteile für Biodiversität, Bodenqualität und lokale Ernährungssicherheit, sagte die Referentin für Internationale Klimapolitik bei der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung, Linda Schneider. Allerdings nimmt ein Wald, ist er einmal gewachsen, kaum noch zusätzliches CO2 auf. Effektiv ist es, keine Wälder mehr zu zerstören.

Erprobt wird derzeit der Anbau und das Verbrennen von Pflanzen. Das entstehende CO2 müsste dann in tiefen Lagern gespeichert werden. Die Technik nennt sich Bioenergie mit CO2-Abscheidung und Speichern im Boden (Bioenergy with Carbon Capture and Storage, BECCS). Sie braucht Ackerfläche und möglicherweise Dünger. Denkbar ist die Verwertung von Abfällen etwa aus Forstwirtschaft und Haushalt, was aber nur kleine CO2-Mengen entzieht. Ebenfalls erforscht werden Techniken, um die CO2-Aufnahmefähigkeit von Böden zu fördern - etwa durch Einbringen von teilverbrannten Pflanzen oder Mineralien, die CO2 binden.

Beim sogenannten Geoengineering könnten zum Beispiel Teilchen in die Luft geblasen werden, die Sonnenlicht zurückstrahlen und so die Erdtemperatur senken. Bei solchen Techniken gibt es laut IPCC "große Unsicherheiten, Wissenslücken und erhebliche Risiken". Er bezog sie daher gar nicht in den Report ein. Sie würden zudem die Ozeanversauerung nicht aufhalten.

Eine weiterer Möglichkeit zur CO2-Reduktion könnte Algendüngung sein. Algen nehmen beim Wachsen ebenfalls CO2 auf. Die Düngung mit Eisen ist aber ein großer Eingriff in ein Ökosystem und noch unzureichend erprobt.

"Fünf nach zwölf"

Der WWF Österreich forderte ein "drastisches Umdenken und rasche Schritte" der europäischen und nationalen Politik. "Es ist längst fünf nach zwölf. Daher braucht es ein mutiges Sofortprogramm gegen die Klimakatastrophe statt zahnloser Klimastrategien", sagte Lisa Plattner, Klima- und Energieexpertin der Naturschutzorganisation. "Als EU-Vorsitzland sei Österreich besonders gefordert. Es brauche eine massive Erhöhung der EU-Klimaziele, einen raschen Ausstieg aus fossilen Energien und eine naturverträgliche Energiewende. Eine "große Öko-Steuerreform" sei seit Jahren überfällig.

"Diese eindringliche Warnung der Klimaforschung muss jetzt Gehör finden, um katastrophale Folgen noch abwenden zu können", betonte Johannes Wahlmüller, Klimasprecher von Global 2000. Es dürften keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr installiert werden, es braucht 100 Prozent emissionsfreie Fahrzeuge in der Neuzulassung spätestens im Jahr 2030, ein Ende der Kohleverstromung bis zum Jahr 2020 und eine ökologische Steuerreform, empfahl die österreichische Umweltschutzorganisation.

Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) wies in einer Aussendung darauf hin, dass in Österreich die CO2-Emissionen des Verkehrs zuletzt nicht gesunken, sondern gestiegen sind. Die VCÖ-Experten forderten eine eine ökologische Steuerreform, einen massiven Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und der Rad-Infrastruktur sowie einen rascheren Ausstieg aus Benzin und Diesel.

"Das 1,5 Grad Ziel wäre erreichbar, aber im Bericht wird deutlich, wie massiv umgesteuert werden muss", erläuterte Klimaforscher Helmut Haberl vom Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. "Nötig wäre eine sozial-ökologische Transformation zu einer raschen und deutlichen Verringerung des Verbrauchs von Rohstoffen und Energie. Dies erfordert es, das massive Wachstum der gesellschaftlichen Materialbestände wie Gebäude, Straßen und andere Infrastrukturen zu begrenzen und diese rohstoffsparender zu gestalten", betonte er in einer der APA übermittelten Stellungnahme.

(APA/dpa/AFP/Reuters)

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