Türkei will die Inflation verbieten

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Symbolbild. (c) APA/AFP/OZAN KOSE (OZAN KOSE)
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Kontrollen in Supermärkten und angeordnete Preissenkungen sollen der Teuerung Einhalt gebieten.

Istanbul. In türkischen Supermärkten beugen sich in diesen Tagen auffällig viele Männer in blauen Uniformen über die Regale und studieren die Preise für Zahnpasta, Joghurt und Toilettenpapier. Beamte des Ordnungsamtes überprüfen im Auftrag der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, ob der Einzelhandel die Abwertung der Lira zu kräftigen Preisanhebungen nutzt. Mit den Kontrollen will Ankara die auf fast 25 Prozent gestiegene Inflation bekämpfen. Dasselbe Ziel hat eine ungewöhnliche Aktion von Finanzminister und Erdoğan-Schwiegersohn Berat Albayrak: Er hat viele türkische Unternehmen dazu überredet, die Preise für Waren und Dienstleistungen um zehn Prozent zu senken.

Kurzfristige Unterstützung bei der Inflationsbekämpfung könnte auch die Freilassung des US-Pastors Andrew Brunson bringen, dessen Inhaftierung im Sommer US-Sanktionen gegen die Türkei ausgelöst hatte. An diesem Freitag soll ein türkisches Gericht erneut über Brunsons Fall verhandeln.

Kein Interesse an Reformen

Strukturelle Reformen lehnt Erdoğans Regierung jedenfalls ab. Fast 40 Prozent hat die Lira seit Jahresbeginn gegenüber dem Dollar und dem Euro verloren. Mit einer Leitzinsanhebung auf 24 Prozent hatte die Zentralbank im September versucht, den Kurs der Lira zu stützen. Doch die Bedenken vieler Investoren mit Blick auf die Wirtschaft bleiben: Eine generelle Schwächung von Kontrollinstanzen unter dem neuen Präsidialsystem und Erdoğans Anspruch, sich in die Geldpolitik einzumischen, sorgen für Verunsicherung.

Experten und Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) mahnen, die Türkei komme um grundsätzliche Reformen nicht herum. Der Fonds hat seine Wachstumsprognose für das Land drastisch nach unten korrigiert und erwartet für das kommende Jahr ein Wachstum von nur noch 0,4 Prozent.

Der Staatschef sucht die Schuld an den wirtschaftlichen Problemen lieber bei angeblichen Manipulationen dunkler Kräfte. Ein von vielen Fachleuten gefordertes Hilfspaket des IWF, das der Türkei marktwirtschaftliche Korrekturen abverlangen würde, lehnt Erdoğan ab.

Ankara versucht deshalb, unerwünschte Entwicklungen gewissermaßen zu verbieten. Nachdem das Statistikamt kürzlich bekannt gab, dass die Inflationsrate innerhalb eines Monats von knapp 18 auf 24,5 Prozent gestiegen sei, wurde der für die Inflationszahlen zuständige Abteilungsleiter bei der Behörde gefeuert. Sein Nachfolger soll ein Vertrauter von Finanzminister Albayrak sein.

Auch die Supermarktkontrollen und der Ruf nach Preissenkungen können die Grundprobleme nicht lösen. Albayraks Programm zur Inflationsbekämpfung sei „totale Zeitverschwendung“, schrieb Analyst Timothy Ash auf Twitter. Und der Wirtschaftsexperte Mustafa Sönmez prognostiziert, dass die Inflation trotz der Maßnahmen der Regierung bis Jahresende auf 35 Prozent steigen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2018)

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