Bregenzerwald: Die Region, ein Schauraum

In Griffweite. Thomas Geisler zog von Wien nach Schwarzenbach im Bregenzerwald.
In Griffweite. Thomas Geisler zog von Wien nach Schwarzenbach im Bregenzerwald. (c) Carolina Frank
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Hände und Hirne formen die Zukunft der Gestaltungskultur im Bregenzerwald. Seit zwei Jahren modelliert Thomas Geisler mit: als Leiter des Werkraums Bregenzerwald.

Muss ja nicht alles so streng definiert sein wie ein Lexikoneintrag. Die Region des Bregenzerwaldes hat Anfang und Ende, das hat sich so ergeben. Rein topografisch. Doch zwischen Hügeln und Hängen, unter freiem Himmel und mancher bäuerlichen Holzdecke, schwingt etwas mit, das man manchmal gar nicht so exakt fassen kann. Wenn es sich nicht gerade materialisiert, durch Hand und Hirn eines Handwerkers: eine Kultur als stummes gestalterisches Versprechen. Ein bisschen hat man’s ja geahnt, die Häuser sind hier um einiges mehr beschindelt als anderswo, die Ortseinfahrten etwas weniger billabesackerlt.

Und wenn die Bregenzerwälder einen neuen Esstisch brauchen, ist für viele der Weg zum Handwerker nebenan tatsächlich naheliegender als der in den Webshop. Hier verzahnen sich gestalterische Ansprüche mit den Möglichkeiten, sie auch zu erfüllen. Hier vernetzt und verknotet sich ein kreativ-gestalterisches Milieu, wenn es nicht eh schon verwandt miteinander ist. Als wäre es ein urbanes Dorf, das jemand mit viel frischer Luft und Natur, mit traditionellen Mitteln und innovativen Zugängen zu einer bemerkenswerten Region aufgeblasen hat. Der Füllstoff, der unsichtbare, von alldem: eine immaterielle Kultur, die nur auf Entwürfe und Produkte wartet, wie der Wasserdampf auf kalte Scheiben.

1999 kondensierte ästhetisch-funktionaler Anspruch und wirtschaftlicher Weitblick besonders intensiv: Mit der Gründung des Werkraums Bregenzerwald. Ein Verein von Handwerksbetrieben gründete sich, inzwischen eine Institution, die den erblichen gestalterischen Anteilen auch mal innovativen Drall mitgeben will. Damit Produktqualitäten auch in eine solide wirtschaftliche Zukunft einrollen. Ein Engagement, das schon die Unesco lobend erwähnte. Als „gutes Praxisbeispiel zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes".

Sozialer Ort. Das Werkraumhaus ist auch Begegnungszone, nicht nur für jene, die hier essen.
Sozialer Ort. Das Werkraumhaus ist auch Begegnungszone, nicht nur für jene, die hier essen. (c) Carolina Frank

Das Dorf als Expositur. Alle drei Jahre nutzt die Handwerkskultur gleich noch mehr Oberflächen, um sich niederzuschlagen. Und eine ganze Plattform dazu: Der Gestaltungswettbewerb Handwerk + Form macht in diesem Jahr wieder ein ganzes Dorf, Andelsbuch, zum Schauraum. Am 13. und 14. Oktober wie auch in der Woche darauf, vom 18. bis 21. Oktober, führt der Ausstellungsrundgang durch ehemalige Brauereikeller, Metzgereien, alte Schmieden und so manchen Stadel. Aber vor allem den Besuchern deutlich vor Augen, was sonst gern unscharf durch die Wahrnehmung geistert: gestalterische Qualitäten, an denen diesmal 74 Handwerker aus dem Bregenzerwald gefeilt haben, gemeinsam mit 103 Designern aus Österreich und Europa. Der Rundgang beginnt an jenem Ort, um den die lokale Handwerkskultur am konzentriertesten kreist: beim Werkraumhaus, gestaltet von Peter Zumthor. Dort haben sich vor zwei Jahren noch zwei Hände und ein Hirn eingerichtet, die das Kulturerbe und die innovative Zukunft gleichermaßen mittragen wollen. Auch indem sie Strukturen, Prozesse, Kommunikation und Programme des Werkraums mitmodellieren: Thomas Geisler hat als Leiter und Geschäftsführer Platz genommen, vor den riesigen Scheiben des Hauses.

Der international erfahrene Kurator und Designexperte fühlt sich durchaus zuständig dafür, dass sich die gestalterische Kultur zwischen Vorarlberger Himmel, Hügel und Hängen bewegt. Auch mal überschwappt, über gedankliche Tellerränder und topografische Barrieren, in neue Sphären der Gestaltung. Die darf auch gern weiter ostwärts, Richtung Wien, liegen. Oder weiter noch. Dort, wo auch das dichte Netzwerk von Geisler seine Ausläufer hat. Ein paar Wellen schlagen, auch in internationale Richtung, das hat er sich selbst vorgenommen. Und dafür auch ein paar Steine des Anstoßes in die Hand zu nehmen, nicht nur in Form von Ausstellungen, die beim lokalen Publikum wie auch bei den Mitgliedsbetrieben gleichermaßen Kreise ziehen sollen.

Nachhaltig verortet. „Es gibt kaum Institutionen, die mit dem Werkraum vergleichbar wären, bei denen Kultur und Kommerz so gleichberechtigt vereint sind", sagt Geisler. Schwer beeindruckt sei er gewesen, wie sich hier eine „Kultur des Wirtschaftens entwickelt hat". Denn die Idee, sich kooperativ zu organisieren, entstand aus wirtschaftlichen Motiven, aus Notwendigkeiten des handwerklichen Berufsalltags. Doch wie selbstverständlich und beiläufig übernahm der Werkraum seitdem auch kulturelle Aufgaben. Oder selbst Bildungsagenden. Allein durch die Gründung der Werkraumschule. Sie kombiniert Lehre und Fachschule, unterpolstert so vor allem eines: die wirtschaftlich-kulturelle Nachhaltigkeit des handwerklichen Wissens in der Region.

Ausstellungen. Das ­Programm soll nach außen ­
Ausstellungen. Das ­Programm soll nach außen ­(c) Carolina Frank

„Ich glaube, dass die Community hier, wenn sie in die richtigen Netzwerke gerät, noch ganz anders zum Blühen kommen kann", sagt Geisler. Dafür knüpft er bereits eifrig Knoten, die den eigenen Tellerrand mit anderen verbinden. „Ich möchte gern Leute einladen in den Bregenzerwald, hier auch einbinden und als Multiplikatoren wieder nach Hause gehen lassen", sagt Geisler. Wer kam, ging meist auch beeindruckt, vor allem auch vom Werkraumhaus selbst, wo sich die Idee der Handwerkskooperative samt seiner gestalterischen Haltungen verortet hat, in Andelsbuch.

Schauräume. Als „Vitrine" oder „Schauraum" hat der Architekt Peter Zumthor das Haus bildlich gedacht. Das Exponat darin: die Handwerkskultur. Viel mehr als Dach und viel Glas braucht es nicht dazu. Hauptsache, das Außen fließt ins Innere. Und im Inneren das eine ins andere. Wie ein „Marktplatz", der verschiedene Angebote unterbreitet, ein Raum, der vieles zugleich sein will und auch wie selbstverständlich ist. Allein das verkörpert die leicht paradoxe Attitüde des Bregenzerwaldes, eine Auf-sich-Bezogenheit der Community, die sich zugleich aufgeschlossen zeigt. Das Werkraumhaus ist auch Kulturbetrieb, der so funktioniert, wie andere Kulturbetriebe gern funktionieren würden: nämlich als Ausstellungs-, Kommunikations-, Diskurs- und Bildungsraum.

Gleichzeitig ist das Haus auch Kantine, nährt den Dialog mit Themen und Gedanken, speist aber auch, und das wortwörtlich, das kreativ-gestalterische Milieu der Umgebung – aber auch aller anderen Hungrigen. Hier sitzen, erzählt Geisler, Planer, Gestalter, Umsetzer, Handwerker neben Menschen, die jene gern in Anspruch nehmen, um ihren eigenen Lebensraum zu gestalten. An der langen Tafel finden bis zu 60 Menschen Platz, sie wird zum Knotenpunkt von Beziehungen, die sich außerhalb des Hauses nicht ganz so evident durch den Bregenzerwald spannen. „Ein Kennzeichen der Architektur ist auch ihre Wahrnehmung als offener Raum", sagt Geisler, „quasi als stumm ausgeprochene Einladung, auch wirklich he­reinzukommen". Es sei gelungen, „das Haus zu einem sozialen Raum zu machen, in dem Ausstellen, Essen, Kommunizieren, Verkaufen gleichwertig sind".

Schauraum. Peter Zumthor, der Architekt, konzipierte das Haus als „Vitrine“.
Schauraum. Peter Zumthor, der Architekt, konzipierte das Haus als „Vitrine“. (c) Carolina Frank

Und hier begegnen die wirtschaftlichen und existenziellen Interessen von Handwerksbetrieben jenen der Besucher. „Jede Ausstellung ist auch irgendwie ein Experiment", sagt Geisler. Eines, das zudem in zwei Richtungen wirken soll. Nach außen, zum Publikum. Sowie nach innen, in die Mitgliedsbetriebe. „Im Prinzip machen wir auch alles, was ein Museum machen würde. Nur eben nicht wie ein Museum." Im Keller des Hauses wächst die Sammlung des Werkraums, sie gehört zur Sammlung des Vorarlberg-Museums, dem man auch die konservatorischen Belange überlässt. Die Auseinandersetzung mit den Werken und Produkten jedoch übernimmt man gern selbst. Doch noch wichtiger fast ist eine andere: Die Sammlung von Menschen und Meinungen, die sich entlang der langen Tafel bei den Vereinssitzungen aneinanderfädeln. „Der Werkraum ist quasi eine lebende Sammlung. Aus über 90 Mitgliedsbetrieben", sagt Geisler. Er selbst versucht, Formen, Strukturen und Prozesse zu finden, um möglichst viele von ihnen auch einzubinden, nicht nur in Ausstellungen. Und das innerhalb eines gestalterischen Spek­trums, das so breit wirkt wie der Berg­rücken der Niedere, die den äußeren vom inneren Bregenzerwald trennt. Gärtner­betriebe stehen da genauso auf der Mitgliederliste wie Tischler oder auch Grafikdesigner.

Generationswechsel. „Zum Glück haben wir mit Martin Bereuter einen sehr aktiven Vorstand, der gleichzeitig auch Designer ist und auch Erfahrungen im Kulturbetrieb hat", sagt Geisler, „und vor allem auch eine klare Vision." Und innerhalb derer Geisler die Möglichkeiten ergreift, selbst seine Netzwerke und kuratorischen Erfahrungen einzubringen. „Es geht nicht nur ums Programmmachen, sondern auch darum, Aufgaben und Arbeit des Vereins weiterzuentwickeln. Auch mal der Moderator zu sein oder Prozesse auszugestalten."

Und das in einer Phase, in der jene Generation, die den Werkraum aufgebaut hat, langsam die aktiveren Rollen tauscht. Mit einer nachfolgenden, die jetzt auch selbstbewusst nach vorne tritt: auch in Form von Produkten, die die Ausstellung des Wettbewerbs Handwerk + Form in Andelsbuch zeigt.

Tipp

Handwerk + Form. Der traditionelle Dorfrundgang in Andelsbuch führt am 12. und 13. 10. sowie vom 18. bis 21. 10. entlang der eingereichten Projekte. werkraum.at

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