Schuften in der Trollfabrik

Blick in die Zukunft – oder auf die Gegenwart? Michal Hvoreckýs „Troll“ handelt von der Macht der Lüge.
Blick in die Zukunft – oder auf die Gegenwart? Michal Hvoreckýs „Troll“ handelt von der Macht der Lüge.Stefan Laktis
  • Drucken

Michal Hvorecký hat einen rasanten Roman über den Kampf zwischen Lüge und Wahrheit im Internet geschrieben. Der dystopische Stoff mutet erschreckend real an.

Manche Romane werden von der Wirklichkeit eingeholt. Das kann eine gute Sache sein oder auch eine weniger gute. Im Fall von Michal Hvoreckýs Buch „Troll“ ist es eine äußerst beunruhigende Entwicklung.

Hvorecký ist Slowake und lebt in Bratislava. Seine Bücher spielen in der slowakischen Hauptstadt und im Donauraum. Sie sind pointiert, humorvoll, durchaus grotesk. Drei seiner Romane wurden ins Deutsche übersetzt. Unlängst ist sein vierter Roman im deutschen Tropen-Verlag erschienen. Es wäre schön, könnte man „Troll“ als Science-Fiction kategorisieren. Doch während Hvoreckýs Arbeit an dem Werk sind einige der Handlungsstränge bedrohlich real geworden.

Hvoreckýs dystopische Geschichte spielt in einem namenlosen Land, das der Slowakei ähnelt. Früher einmal war es Mitglied der Europäischen Union, heute hat es sich hinter einer Mauer abgekapselt und macht gemeinsame Sache mit dem „Reich“, einem riesigen Land, unschwer als Russland zu erkennen. Es ist die Ära nach der Regentschaft des „Anführer-Vaters“, der das Land auf einen autoritären Kurs gebracht hat.


Der Kampf um die Wahrheit. In dem Kleinstaat steht das Zeitalter der Post-Truth in voller Blüte. Eine Armee von Trollen steuert nach Belieben die öffentliche Meinung. „Früher hat der Sieger Geschichte geschrieben. Heute schreibt die Geschichte derjenige, der siegen will.“ Diese Worte stammen von Valys, einem leitenden Kader einer Trollfabrik. „Osteuropa war für Valys' Absichten wie geschaffen. Seine Einwohner hatten allzu viel an Okkupationen, Deportationen und Gewalt erlebt und sich oft selbst dran beteiligt. In Zeiten der Diktatur hatten sie es verlernt, der Macht zu vertrauen, sie flohen vor Konflikten und vor sich selbst.“

Um die Hetze der Trolle, ihre Wirkungsmacht und deren dramatische Folgen kreist das Buch. Aber auch um den Kampf gegen die Desinformation. Hvorecký wählt dafür zwei Helden, die nicht dem typischen Bild von Gerechtigkeitskämpfern entsprechen. Da ist einerseits der namenlose Ich-Erzähler, ein übergewichtiger junger Mann, der sich nach einem jahrelangen Krankenhausaufenthalt deprimiert eingestehen muss, noch immer Jungfrau zu sein – und es vermutlich auch zu bleiben. Und seine enge Vertraute Johanna, ein Ex-Junkie. Die beiden verbindet die Liebe zu russischer Literatur, die wie eine zivilisatorische Kraft gegen die dunklen Anstrengungen des „Reichs“ wirkt. Auf den ersten 100 Seiten schildert der Autor gerafft, wie dieses mitteleuropäische Land dort landen konnte, wo es nun ist – eine Erzählung, die in dieser Länge nicht nötig wäre. Doch im zweiten Teil des Buches nimmt die Geschichte an Fahrt auf.

Denn das in Freundschaft verbundene Paar will etwas gegen die dunklen Mächte unternehmen. Als Jobsuchende schleusen sie sich in die Trollfabrik ein und lernen „on the job“, mit rhetorischen Kniffen die Grenze zwischen Lüge und Wahrheit zu vermischen, so unmerklich, dass es die meisten Zeitgenossen nicht registrieren. Der Einblick in die detailreich beschriebenen Tagesroutinen der Desinformations-Fließbandarbeiter ist einer der unbestrittenen Stärken von Hvoreckýs Roman. Einige sind hier aus Überzeugung, andere des Geldes wegen – wie Lisaweta, die frühere Russischlehrerin des Erzählers. Der berichtet: „Am Morgen schrieben wir auf Anweisung, die Migranten hätten Schweden zerrüttet und in Australien sei jetzt der Islam verboten. Um zehn behaupteten wir, Nato-Soldaten hätten an der Grenze zum Reich ein zwölfjähriges Mädchen aus einem Kinderheim vergewaltigt.“ Fragwürdiger Content, der für europäische Leser nur allzu bekannt klingt.

All das bleibt nicht ohne Folgen: Die Persönlichkeit des Erzählers verändert sich. Doch da ist eine anonyme Widersacherin, die den Profi-Lügnern mit der Wahrheit droht. Hvoreckýs Erzähler muss sich entscheiden: Auf welcher Seite steht er? Ein rasanter Roman, eine engagierte Intervention.

Neu Erschienen

Michal Hvorecky
„Troll“

Übersetzt von
Mirko Kraetsch
Tropen Verlag
217 Seiten
18,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.