Das Ende der weiß-blauen "Mia san mia"-Politik

Der Mythos der Erfolgspartei, bewundert von Parteifreunden in ganz Europa, ist dahin.
Der Mythos der Erfolgspartei, bewundert von Parteifreunden in ganz Europa, ist dahin. (c) APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Die letzte deutsche Bastion ist gefallen. Die CSU wurde bei der Landtagswahl zurechtgestutzt - auch, weil Seehofer und Söder den Bogen überspannt hatten.

Die CSU ist Bayern, und Bayern ist die CSU.“ Jahrzehntelang war das ehernes Gesetz im Freistaat, in Stein gemeißelt von Übervater Franz Josef Strauß und seinen Adepten – von Edmund Stoiber über Horst Seehofer bis Markus Söder. Daraus bezogen die Christsozialen ihre Identität, daraus speiste sich ihre „Mia san mia“-Mentalität; und daraus leitete sich ihr auftrumpfendes und aufplusterndes Auftreten in der Bundespolitik ab, das alle CDU-Kanzler von Adenauer über Kohl bis Merkel oft genug zur Verzweiflung trieb.

Bis der bayerische Fels am Wahlsonntag, an dem das Firmament in den Landesfarben weiß-blau leuchtete, bröckelte. Der Mythos der Erfolgspartei, bewundert von Parteifreunden in ganz Europa, ist dahin. Die letzte Bastion einer deutschen Volkspartei ist gefallen. Und dennoch müssten viele europäische Parteien angesichts des hohen Niveaus des CSU-Resultats geradezu von Neid erfüllt sein.

Für Nochkanzlerin Angela Merkel ist das Ergebnis indes ambivalent: Eine gestutzte CSU zehrt die Union und die Koalition weiter aus, die im freien Fall scheint – eine Regierung auf Abruf, die starken Fliehkräften ausgesetzt ist. Die Wähler in Bayern stellten die SPD quasi unter Artenschutz, Panik greift um sich. Es könnte rasch zu Ende gehen mit der ungeliebten und lahmen Koalition in Berlin.

Dass die Gewissheiten für die Staatspartei CSU von Bayreuth bis Berchtesgaden und vom Bayerischen Wald bis zum Bodensee ins Rutschen geraten sind, hatte sich erstmals vor zehn Jahren angedeutet, als die CSU bei der Landtagswahl mit rund 43 Prozent die absolute Mehrheit einbüßte – und schließlich im Vorjahr, als sie bei der Bundestagswahl sogar unter die 40-Prozent-Marke stürzte. Die CSU-Granden riefen den Notstand aus, sie stürzten Seehofer vom Sockel des Ministerpräsidenten und installierten seinen Rivalen Söder als Regierungschef in München.

Die Machtteilung konnte in dieser Personenkonstellation nicht funktionieren: ein irrlichternder, erratischer und rechthaberischer Parteichef Seehofer als Innenminister in Berlin, der die Koalition innerhalb nur eines halben Jahres mehrmals an den Rand des Scheiterns brachte; und ein überehrgeiziger Ministerpräsident Söder, der versuchte, sich in alter CSU-Tradition als Zwischenrufer und Besserwisser zu profilieren, der zuspitzte und polarisierte. Das ungleiche Duo richtete Chaos in Berlin an, es überspannte vor allem in der Flüchtlingspolitik den Bogen: Funktionäre, Mitglieder und Wähler stöhnten zunehmend über den CSU-Chef, der eine Volte nach der anderen schlug und inzwischen nur noch mitleidig bis spöttisch belächelt wird – in Bayern die Höchststrafe für einen Politiker.

Die Politikmaschine Söder versuchte dagegen noch einmal alles: Er schüttete das Füllhorn aus, er attackierte die rechtspopulistische AfD als gefährliche Rechtsextreme, verzichtete weitgehend auf Polemik in der Flüchtlingsdebatte und gab sich als stolzer Landesvater. Er strotzte vor Kraft, und er zerriss sich. Ein Spagat, der nicht zu bewältigen war. Es gelang nicht mehr glaubwürdig, die Breite abzudecken, auf die sich die CSU so lang viel zugutegehalten hatte: konservativ, sozial und mitunter liberal. Die Unzufriedenen und Verunsicherten wanderten zur AfD ab, viele engagierte Christen zu den Grünen, die im Wahlkampf mit Pragmatismus und einer positiven Ausstrahlung daherkamen. Am Ende waren die CSU-Strategen trotz einer herausragenden Wirtschaftsbilanz ratlos.


Edmund Stoiber, Söders politischer Ziehvater, machte in einer Vorwahlanalyse eine soziologische Ursache für die CSU-Schlappe aus. Der Wirtschaftsmagnet Bayern zog in den vergangenen 15 Jahren 1,6 Millionen Menschen an – aus Thüringen, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen –, denen das „CSU-Gen“ fehlt: die Sozialisation in Vereinen, Heimatverbänden und Kirchen. Die Integrationskraft der CSU schwindet. Der Erosionsprozess, die gesellschaftliche Aufsplitterung haben nun auch Bayern erreicht. So wie sich am Sonntag die Kirchen – nicht nur in den Städten – zusehends leeren, so haben die Bürger diesmal in der Wahlkabine ihr Kreuz bei Grünen, AfD oder Freien Wählern gemacht. Bavaria ist bunter geworden, und dies spiegelt sich im Landtag wider.

E-Mails an:thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2018)

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