Bundespolitik

Bayern-Wahl stürzt Koalition in Berlin in neue Turbulenzen

Das verheerende Ergebnis der SPD in Bayern wird auch Folgen für Bundeschefin Nahles haben.
Das verheerende Ergebnis der SPD in Bayern wird auch Folgen für Bundeschefin Nahles haben.(c) REUTERS (RALPH ORLOWSKI)
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Die SPD taumelt in ein Fiasko, in der Union scheint Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr ungefährdet.

Wien/Berlin. Nach Wahlpartys war den Koalitionsparteien in Berlin nicht zumute. Die SPD hat ihr Fest im Willy-Brandt-Haus gleich ganz abgesagt – aus Kostengründen, wie es offiziell heißt. Es war indes schon im Vorfeld klar, dass es am Sonntagabend nichts zu feiern geben würde. Die Sozialdemokraten sollten recht behalten: Sie schlitterten in Bayern in ein historisches Fiasko – eine Halbierung ihrer Stimmenzahl, hinter Grüne, die AfD und die Freien Wähler, unterhalb der Zehn-Prozent-Marke, schlimmer sogar noch als in den Freistaaten im Osten Deutschlands, in Sachsen und Thüringen.

Nur Andrea Nahles konnte sich nicht der Öffentlichkeit entziehen. Die SPD-Chefin hatte bereits in einem „Zeit“-Interview ihren Koalitionspartnern ausgerichtet, sich endlich auf die Sacharbeit zu konzentrieren – eine unverhohlene Drohung, die Regierung platzen zu lassen. Die Performance der Koalition sei schlecht. „Die gesamte Regierung leidet unter der CSU, und zwar massiv.“ Die SPD habe sich nicht freimachen können vom Richtungsstreit in der Union, erklärte sie dann am Wahlabend. Nahles steht unter dem zunehmenden Druck des linken Parteiflügels um Juso-Chef Kevin Kühnert, der die Neuauflage der Koalition mit CDU/CSU ohnedies vehement abgelehnt hat.

Die Koalitionspolitiker gingen großteils auf Tauchstation. CDU wie SPD gaben die Losung aus, keine Führungsdiskussion loszutreten und bis zur Landtagswahl in zwei Wochen in Hessen ruhigzuhalten und die Kräfte zu sammeln für den Endspurt des dortigen Wahlkampfs. Die Christdemokraten haben für kommenden Sonntag ihre höchsten Gremien, das Präsidium und den Bundesvorstand, zu einer Sondersitzung im Berliner Konrad-Adenauer-Haus einberufen, um noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren. Das riecht sehr nach Krisenstimmung.

Wende im „roten“ Hessen?

Die hessische CDU unter Ministerpräsident Volker Bouffier, die mit den Grünen eine reibungslose Koalitionszusammenarbeit pflegt, ist in den Umfragen mittlerweile unter die 30-Prozent-Marke gefallen. Eine Regierung ohne Beteiligung der CDU im einst traditionell „roten“ Hessen wäre somit theoretisch möglich. In Hessen hat die SPD bereits in den 1980er-Jahren mit den Grünen um Joschka Fischer koaliert. Auch hier schwelgen die Grünen derzeit in einem Umfragehoch, während die SPD auf der Stelle tritt.

Auch auf Bundesebene sind die jüngsten Umfragedaten für die beiden Volksparteien alarmierend: Die Union ist demnach auf 26 Prozent abgesackt, SPD und Grüne liegen gleichauf bei 17 Prozent, knapp vor der AfD mit 15 Prozent. Die Linke und die FDP folgen mit Abstand bei elf bzw. neun Prozent.

Bouffier, einer der Stellvertreter Angela Merkels in der CDU, hat die Verantwortung für die schlechten Umfragewerte der Schwesterpartei CSU zugeschrieben. „Die CSU hat der Union in der letzten Zeit viel Vertrauen gekostet. Man kann nicht den Eindruck erwecken, dass vieles durcheinandergeht und die Regierung nicht handlungsfähig ist“, sagte der hessische Regierungschef – eine explizite Kritik an CSU-Chef Seehofer.

Rumoren in der CDU

Es rumort längst auch in den Reihen der CDU. Die Abwahl des Fraktionschefs Volker Kauder und die Kür des weithin unbekannten westfälischen Abgeordneten Ralf Brinkhaus zu seinem Nachfolger vor drei Wochen war auch ein schallendes Misstrauensvotum gegen die Kanzlerin. Angela Merkel sah sich hinterher genötigt, die Kritiker zum Verstummen zu bringen. Sie werde beim Parteitag im Dezember in Hamburg neuerlich als Vorsitzende antreten, verkündete sie. Sie bekräftigte ihr Credo, wonach sie es für sinnvoll halte, die Ämter der Regierungs- und der Parteichefin in einer Hand zu behalten.

Ungefährdet ist sie nicht. Es kursieren Stimmen in der CDU, die eine Ämtertrennung favorisieren. In einem solchen Szenario würde Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer das Amt der CDU-Chefin übernehmen, um später die Nachfolge Merkels auch als Regierungschefin anzutreten. Norbert Röttgen, der frühere Umweltminister, wagte sich in einem „Spiegel“-Interview aus der Deckung. Es reiche nicht, eine Sitzung zu leiten, ätzte er. Es gehe darum, eine Regierung zu führen.

Ihre Position wollte er allerdings nicht offen infrage stellen – ähnlich wie Wolfgang Schäuble, der Bundestagspräsident, der indessen von „Erschütterungen“ nach der Bayern-Wahl sprach und die Kanzlerin in diese Analyse einbezog. Ihre Position sei nicht mehr unbestritten wie in den drei Legislaturperioden zuvor, erklärte der 76-Jährige. Der CDU-Doyen fügte hinzu, dass eine Wiederwahl Merkels beim Parteitag wahrscheinlich sei – sofern sie denn antritt, wie er sibyllinisch in Schäuble-Manier anmerkte.

Die Grünen halten sich bereit

Auf die Koalition in Berlin kommen Turbulenzen zu. Die größte Unsicherheit geht indessen von der SPD und der CSU aus. Womöglich stürzt die Hessen-Wahl die SPD in ein Dilemma, der Druck für einen Ausstieg aus der Regierung könnte übermächtig werden. Für die Hälfte der Amtszeit ist ohnehin eine Revisionsklausel vorgesehen, die einen Exit erlauben würde. Für einen solchen Fall halten sich die Grünen, beflügelt durch ihr Hoch und ihr neues Führungsduo Habeck/Baerbock, als mögliche Alternative bereit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2018)

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