Prognose trifft Zukunft: Eine (Daten-)Analyse

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Wenn die Schlüsse schlauer Algorithmen für das Strafausmaß von Tätern, die Behandlung von Krebspatienten oder hoch relevante Handlungen in Unternehmen mitverantwortlich sind, ist es Zeit, sich über die Zukunft der Datenanalyse Gedanken zu machen.

Eric Loomis konnte am 12. August 2013 wohl seinen Ohren nicht trauen, als das Gericht der US-Kleinstadt La Crosse den Urteilsspruch verkündete: Elf Jahre Gefängnis plus fünf Jahre erweiterte Überwachung mit einer elektronischen Fußfessel. Seine Straftat?  Führen eines Fahrzeugs ohne Einwilligung des Besitzers und versuchte Flucht vor der Polizei. Das selbst für US-amerikanische Verhältnisse drakonische Strafausmaß war in erster Linie einem Umstand geschuldet: Das Gericht ging davon aus, dass Loomis mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Rückfalltäter wird. „Geflüstert“ hatte dies ein Algorithmus.

Der Algorithmus, mit dem man mit muss
„Correctional Offender Management Profiling for Alternative Sactions“, kurz und knackig Compas, heißt die Software des auf IT-Dienstleistungen spezialisierten Unternehmens Equivant, die das Rückfallrisiko von Straftätern angeblich verlässlich berechnen kann. Gefüttert wird das Programm unter anderem mit Daten aus dem Vorstrafenregister des Beschuldigten und naher Verwandter, Erkenntnissen aus dem Alkohol- oder Drogenkonsum in der Familie, Informationen zu sozialen Bindungen oder zur Historie von Wohnort- und Beschäftigungswechsel. Die Daten werden im Anschluss mit jenen von Delinquenten verglichen, die eine ähnliche Lebensgeschichte vorweisen. Gespeist mit dem Wissen, wie sich Personen aus der Vergleichsgruppe zwei Jahre nach ihrer Verurteilung verhalten haben, ermittelt der Algorithmus einen Wert auf der zehnstufigen Compas-Skala. Auf diesen „Risk Score“ stützen sich Gerichte in mehreren US-Bundesstaaten, um die Höhe der Strafe festzulegen. So auch im Fall Loomis.

Einige Studien ziehen die Urteilskraft von Compas jedoch massiv in Zweifel. Die bekannteste wurde 2016 von der Investigativ-Plattform ProPublica veröffentlicht. Ergebnis: Compas lag in knapp 60 Prozent der Fälle richtig, also etwas häufiger, als wenn man zur Bestimmung des Strafausmaßes einen Münzwurf herangezogen hätte. Zudem stellten die Studienautoren fest, dass bei schwarzen Angeklagten der Risk Score signifikant öfters zu deren Nachteil irrte als bei weißen Bürgern.

Die Stecknadel im Heuhaufen
Predictive-Policing gibt es aber auch in deutschen und Schweizer Städten. Eingesetzt werden seit gut einem Jahrzehnt Tools wie Precobs, die auf Grundlage von Falldaten der jüngsten Vergangenheit Prognosen über Orte mit erhöhtem Risiko für Wohnungseinbrüche oder Autodiebstähle erstellen. In Österreich zeigt man sich auf anderen Gebieten fortschrittlich. 2016 wurde vom Bundesministerium für Finanzen das Predictive Analytics Competence Center (PACC) als Nachfolgeinstitution des Risiko-, Informations- und Analysezentrum (RIA) der Finanz- und Zollverwaltung eingerichtet. Mit mathematisch-statistischen Analysemethoden soll die Trefferquote bei der Fallauswahl in der Steuerbetrugsbekämpfung erhöht werden. „Durch die Analyse von Datenmustern mit Hilfe spezieller Software ist es möglich, die Wahrscheinlichkeit von Ergebnissen künftigen Verwaltungshandelns zu berechnen. So können wir mit weniger Kontrollen bzw. Prüfungen effektivere und wirkungsvollere Ergebnisse erzielen“, sagt PACC-Leiter Hermann Madlberger. Predictive Analytics könne helfen die Stecknadel im Heuhaufen zu finden. Und zwar überall dort, wo es um Kontrollen oder Überprüfungshandlungen geht und eine Fülle von Daten vorliegt.

Fußabdrücke der Persönlichkeit
Die Stecknadel im Heuhaufen zu finden, das ist – im Sinne einer positiven Selektion - auch ein Business-Ziel, insbesondere wenn es darum geht, das richtige Personal am richtigen Arbeitsplatz einzusetzen. Wie findet man heraus, wer ideal zu einem Unternehmen passt und wer am besten welches Projektteam verstärkt, um die Gesamtperformance an die gewünschte Spitze zu treiben? Treffende Antworten auf diese Fragen aus dem Reich des Human Resource Managements erhofft man sich in Zukunft von Vorhersagemodellen, die neue Personal & People Analytics Methoden zu liefern versprechen. Die Idee dahinter: Persönlichkeitsmerkmale gelten als verlässliche Indikatoren für das Verhalten von Menschen; wenn man Persönlichkeitsmerkmale vollautomatisch mittels prädiktiver Algorithmen prognostizieren könnte, würde dies entscheidenden Nutzen stiften. HR Verantwortliche können dann diese Informationen für die ideale Stellen- und Teambesetzung verwenden. Bewerber wiederum wäre in der Lage herauszufiltern, welches Unternehmen am besten mit dem eigenen Profil korreliert.

Wie sich mit Algorithmen Persönlichkeitsprognosen etwa auf Basis von Social Media Daten erstellen lassen, untersuchte Data Scientist Ricardo Büttner. „Da das Verhalten auf Social Media-Plattformen digital aufgezeichnet und gespeichert wird, hinterlassen deren Nutzer persönlichkeitsspezifische Fußabdrücke“, erklärt der Professor an der Fakultät für Betriebswirtschaft an der Hochschule Aalen. Mittels eines Xing-Datensatzes evaluierten die Wissenschaftler rund um Büttner Algorithmen und befragten zugleich Studierende hinsichtlich ihrer Nutzung der Plattform. Als Ergebnis zeigte sich in dem Forschungsprojekt, dass prädiktive Algorithmen in der Lage sind, aus der Xing-Plattform wertvolle Daten zur Persönlichkeitsprognose zu sieben. Die Prognoseresultate sind laut Büttner von substanzieller Qualität: „Bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter für vakante Stellen lässt sich so eine hohe Kandidatenpassung erzielen. Das führt zu höherer Arbeitsleistung, höherer Arbeitszufriedenheit, höherem Commitment und längerer Beschäftigungsdauer.“ Die neuen digitalen Analysetools sparen Führungskräften zudem Zeit und Kosten. Zugleich warnt der Forscher aber, wie viele seiner Kollegen, vor möglichen Schattenseiten: „Die Unternehmen können mit schnellen und kostengünstigen prädiktiven Algorithmen ihre Arbeitnehmer permanent und in Echtzeit hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, ihrer Arbeitsleistung/Leistungsfähigkeit, ihres Kommunikationsverhaltens, ihrer politischen Einstellungen oder ihrer Einstellungen gegenüber dem Arbeitgeber durchleuchten.“

China als „Reiseführer“
Wohin die digitalisierte, analytische Reise auf gesamtgesellschaftlicher Ebene führen kann, deutet sich gerade in China an. Geplant ist von den Machthabern, bis 2020 alle privaten und staatlichen Datenbanken miteinander zu verknüpfen, ein flächendeckendes Videoüberwachungssystem mit zentraler Gesichtserkennungsdatenbank zu installieren und ein landesweites Scoring-System für alle Bürger einzuführen. Belohnt wird mit Punkten – so viel lässt sich auch ohne Software vorhersagen –, wer sich kritiklos dem System unterordnet.

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