Laborare auf Co. – der Werkraum von morgen

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Am Arbeitsalltag zu laborieren ist passé. Collaboration Tools sollen das gemeinsame Schaffen zum effizienten Gesamtkunstwerk erheben. Anleihen werden aus dem Tierreich genommen.

Die Architektur des unterirdischen, verlassenen Ameisenstaats, den Naturforscher vor einigen Jahren in Brasilien entdeckten, hätte ausgeklügelter nicht sein können. Was das wissenschaftliche Team vorfand, sprengte die Dimensionen der Vorstellungskraft. Auf einer Fläche von 50 Quadratmeter und einer Tiefe von acht Meter hatte ein Heer von Blattschneiderameisen ein Höhlensystem mit einem mehrere Kilometer langen Straßennetz und mehr als eintausend Kammern konstruiert. Rund 40.000 Kilogramm Sand mussten von den Ameisen ausgehoben und transportiert werden, um das belüftete Tunnelnetzwerk zu graben. Eine logistische Großtat.

Informatiker auf Duftspuren
Das Stemmen einer derart komplexen Konstruktion zeugt vor allem von einer Meisterleistung der Kommunikation. Wenn ein Volk von mehreren Millionen Arbeitern - ohne große hierarchische Struktur, ohne Arbeitskreissitzungen und Internet - eine Organisationseinheit von scheinbar höchster Effizienz schaffen kann, liegt eine Frage auf der Hand: Was kann sich der Mensch davon abschauen? „Die Art und Weise wie Ameisen sich organisieren, kann uns einen Einblick geben, wie zum Beispiel die Prozesse im Verkehrswesen reibungsloser ablaufen können und uns Optimierungsansätze für Fabrikabläufe liefern“, erklärt Bernd Meyer von der IT-Fakultät der Monash University. An dieser australischen Hochschule befasst sich aktuell ein Team aus Biologen und Informatikern mit dem Thema Organisationskultur. „Wir erstellen einen algorithmischen Blick auf die Art und Weise, wie die Ameisen interagieren“, so der deutsche Informatiker.

Schwarmintelligenz mit Blick aufs Ganze
Um das komplexe Verhalten der Ameisen zu enträtseln, spüren die Forscher einzelnen Individuen nach und erstellen daraufhin Modelle für Tausende über einen größeren Zeitraum, die zugleich als Prognosemodelle für zukünftige Verhaltensweisen dienen. Konkret ging es um die Frage, wie die Insekten als Gruppe reagieren, wenn ihnen eine neue, bessere Futterquelle angeboten wird. Es stellte sich heraus, dass Ameisen in der Lage sind, Entscheidungen neu zu überdenken - und binnen kürzester Zeit schwarmintelligent danach zu handeln -, wenn sich die Informationslage geändert hat. Laut Meyer waren Kolonien nur deshalb offen für neue Alternativen, weil bemerkt wurde, dass einzelne Ameisen zuvor eine schlechte Entscheidung getroffen hatten. Individuelle Fehler wurden prompt genutzt, um die Gruppenprozesse ad hoc zu verbessern.

„In solchen Situation übernimmt das Gruppendenken, und plötzlich machen alle das Gleiche. Als Informatiker können wir das mathematisch ausformulieren und es sieht so aus, als könnte man die mathematische Formel auf andere Systeme übertragen – auch menschliche Gruppen“ erklärt Bernd Meyer. Davon sind auch andere prominente Forscher überzeugt. Der Mathematiker und Autor Gunter Dueck kommt in seinem Buch „Schwarmdumm: So blöd sind wir nur gemeinsam“ zum Schluss:  „Warum verstehen die Manager die Mitarbeiter nicht und umgekehrt? Sie alle verharren in Teilansichten auf das Ganze, sie können im Grunde nicht zusammenarbeiten, weil sie alle etwas anderes sehen. Wenn sie alle das große Ganze sehen könnten - dann wäre ein gemeinsames Vorgehen möglich, dann könnten sie gemeinsam das smarte oder gar Geniale schaffen.“

Marktplatz Collaboration
Das gemeinsame Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren lautet also die große Herausforderung für Organisationen. Speziell für örtlich getrennte Teams von Unternehmen, die projekt- und länderübergreifend kooperieren sollen, ist eine effiziente und konzertierte Zusammenarbeit mehr denn je eine Conditio sine qua non. Möglich machen es die neuesten Werkzeuge der Digitalisierung. „Nach den Social Networks Facebook, Instagram und Co. etablieren sich in Unternehmen seit einigen Jahren die sogenannten Collaboration Tools. Diese internen sozialen Netzwerke sollen Silos aufbrechen und so die Zusammenarbeit und Kommunikation auf neue Beine stellen“, sagt Thomas Zeizel, Business Unit Executive bei IBM, Social Unit D-A-CH. Wenn in der Welt verstreute Mitarbeiter nicht gemeinsam an einem Tisch sitzen können, braucht es virtuelle Tische.

Der Trend zum kollaborativen Arbeiten ist stark. Laut aktuellen Analysen der Information Service Group Germany, ISG, Team D-A-CH, wird etwa der deutsche Markt für Social-Communication- und Collaboration-Lösungen von 662 Millionen im Vorjahr auf 872 Millionen Euro Ende 2018 wachsen. „Der Zuwachs von rund 32 Prozent wird derzeit in kaum einem anderen Segment des IT-Marktes erreicht“, betonen die Analysten.

Qual der Wahl
In nur wenigen Jahren hat sich ein Anbieter-Markt gebildet, auf dem es nicht leicht fällt, die Übersicht zu bewahren. Lösungen von Platzhirschen und IT-Riesen wie Microsoft, Cisco, IBM, Google oder Amazon konkurrieren mit Produkten kleiner Startups, All-in-one Lösungen wiederum mit einzelnen Werkzeugen, die nur auf bestimmte Features fokussieren. Zu unterscheiden ist außerdem zwischen lokaler, selbst gehosteter Collaboration-Software und von Anbietern gehosteten Online-Anwendungen (Cloud-Dienste, Software as a Service). Und bei den Kosten reicht die Palette von für KMU schwer finanzierbaren Enterprise-Tools bis hin zu freien Open Source-Lösungen.

Maschine für Emotionen
Während angewandte Künstliche Intelligenz (KI) in den meisten Unternehmen bestenfalls im Experimentierstadium ist, hat sie als Teil von Collaboration-Lösungen bereits Einzug in den Arbeitsalltag gefunden. Als Pionier auf diesem Gebiet gilt Watson Workspace von IBM. „Vereint werden die Kompetenzen des kognitiv arbeitenden Supercomputers Watson mit Collaboration-Tools, die Kommunikationsströme aus unterschiedlichen Quellen bündelt. So werden Assistenzaufgaben übernommen, beispielsweise bei der Aufbereitung von Informationen“, erklärt Thomas Rickert, Business Productivity Strategist beim IT-Provider Axians, und führt als Beispiel die Vorsortierung von E-Mails an: „Indem die KI Anwenderreaktionen analysiert, lernt sie, diese einzuschätzen. Damit kann sie treffsicherer abwägen, ob eine E-Mail tatsächlich wichtig ist und welche Priorität sie erhalten soll. Wenn der Nutzer eine Entscheidung des Assistenten revidiert, lernt er für die Zukunft dazu.“

KI könne zudem anhand von Schlagworten und Semantik herausfinden, welche Eckdaten einer Nachricht wichtig sind, um diese zu markieren. Analysiert werden dabei nicht nur zentrale Textaussagen, sondern auch deren Tonalität. So ist die KI in der Lage festzumachen, welche Art von Emotionen in einer Mitteilung transportiert wird. „Den ,Tone Analyzer‘ können Arbeitnehmer nutzen, um eigene E-Mails vor dem Versand zu prüfen. Er markiert dann Passagen, die noch einmal überarbeitet werden sollten, und verhindert damit unfreundliche Mitteilungen an Kunden“, so Rickert. In Kürze soll bei IBM die Intelligenz auch flächendeckend in die Video- und Audiokommunikation integriert werden.

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