Rund 2,5 Mio. Migranten wurden 2016 illegal über Staatsgrenzen geschleust. Das zeigt ein UN-Bericht auf.
Wien. „Wir glauben, der illegale Schmuggel von Menschen findet hauptsächlich nach Europa statt. Das ist eine verzerrte Wahrnehmung“, sagt Fabrizio Sarrica. „Überall auf der Welt passiert Menschenschmuggel“, sagt er in der Wiener UNO-City. Sarrica ist einer der Autoren einer umfassenden Studie zum Thema Schlepperei, die das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) erstellt und diese Woche in Wien präsentiert hat.
Wer sind die Migranten, die sich auf solch unsichere Geschäfte einlassen? Wer sind die Schmuggler? Welche Routen nehmen sie? Und wo auf der Welt? Und wer verdient wie viel mit diesem Geschäft? Das sind die Fragen, welche die Studie zu beantworten versucht. 2,5 Millionen Menschen wurden demnach im Jahr 2016 illegal in andere Länder gebracht. „Das ist ,big Business‘ mit hohen Profiten“, sagt Sarrica. Die Einnahmen weltweit werden auf 5,5 bis sieben Milliarden US-Dollar im Jahr geschätzt.
Gefährliche Reise
Wer sind die Menschen, die ihr Leben in die Hände von Schmugglern legen? „Sie müssen wegen eines bewaffneten Konflikts, wegen Verfolgung oder aus sozio-ökonomischen Gründen flüchten“, so Sarrica. Sie würden entweder keine legalen Reisepapiere erhalten oder von Schleppern absichtlich hinters Licht geführt werden, damit diese ihren Profit erhöhen können. Von jenen, die 2016 Dienste von Schleppern in Anspruch nahmen, waren 71 Prozent Männer, 13 Prozent Frauen, die übrigen Kinder sowie unbegleitete Minderjährige. Im Unterschied zu Menschenhandel lassen sich bei der Schlepperei Migranten aus freier Entscheidung auf die Schmuggler ein. Beide Parteien einigen sich auf einen Preis für die Bereitstellung der nötigen Dienste.
Folter, sexuelle Gewalt, Entführung oder Mord begleiten die meisten illegalen Migranten auf ihrer Reise. Sarrica berichtet davon, dass etwa in Libyen Menschen jahrelang festgehalten würden und von ihren Familien Lösegeld verlangt werde. Zudem endet für viele die Reise tödlich: Seewege oder Routen durch Wüsten oder über Berge würden viel abverlangen. Immer wieder kommt es zu Unfällen, bei denen in Lkw gepferchte illegale Migranten sterben.
Die Schmuggler, die zuständig sind für das Rekrutieren, für das Promoten und für das Verkaufen verschiedener „Pakete“ gehören oft derselben Ethnie an wie die Geschmuggelten, kommen aus derselben Gegend und sprechen dieselbe Sprache. So sorgen Schmuggler für eine emotionale Bindung und für Vertrauen.
Größe und Organisation variieren: Manche Schlepper arbeiten auf eigene Rechnung und mit weiteren kleinen Schmugglern zusammen. Die kümmern sich dann um die Überquerung der Staatsgrenzen, das Bereitstellen von Booten und Telekommunikation oder das Organisieren von falschen Dokumenten. Es kommt auch vor, dass ganze Dörfer vom Menschenschmuggel leben.
„All-inclusive-Package“
Und dann gibt es auch noch die straff organisierten Banden, die das „All-inclusive-Package“ anbieten, samt falscher Papiere, Verkehrsmittel über lange Strecken hinweg, Übernachtungen und das Schmieren von Grenzbeamten, sonstiger Behördenvertreter – oder gar Regierungsmitglieder.
In der Studie wurden weltweit 30 Routen identifiziert, auf denen Menschen illegal über Staatsgrenzen gebracht werden, die Mittelmeerroute ist nur eine davon. Knapp 120.000 Menschen machten sich 2016 von Somalia und Dschibuti aus über das Arabische oder Rote Meer in den Jemen auf. Viele wollen weiter nach Saudiarabien und andere Golfstaaten. Die zahlenmäßige größte illegale Migrationsbewegung gibt es aber Richtung USA: Rund 820.000 Menschen kamen 2016 von Mexiko aus über die Grenze. Tendenz steigend.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2018)